Foto Brigitte Fuchs
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Großstadt – Weihnachten
Nun senkt sich wieder auf die heim’schen Fluren
die Weihenacht! die Weihenacht!
Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren,
wir kriegens jetzo freundlich dargebracht.
Der Asphalt glitscht. Kann Emil das gebrauchen?
Die Braut kramt schämig in dem Portemonnaie.
Sie schenkt ihm, teils zum Schmuck und teils zum Rauchen,
den Aschenbecher aus Emalch glasé.
Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen
auf einen stillen heiligen Grammophon.
Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen
den Schlips, die Puppe und das Lexikohn,
Und sitzt der wackre Bürger bei den Seinen,
voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn,
dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen:
»Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!«
Und frohgelaunt spricht er vom ›Weihnachtswetter‹,
mag es nun regnen oder mag es schnein,
Jovial und schmauchend liest er seine Morgenblätter,
die trächtig sind von süßen Plauderein.
So trifft denn nur auf eitel Glück hienieden
in dieser Residenz Christkindleins Flug?
Mein Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden . . .
»Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.«
Kurt Tucholsky
ein tucholskygedicht, das mit einem schnitzlerzitat endet. und schon vor der letzten zeile ist zu merken, dass das im gedicht dargebotene weihnachtsglück ein unterwandertes ist. eines, das nicht unbeidingt das ist, das es zu sein vorgibt, das es zu sein scheint. bzw. wird das weihnachtsglück und der weihnachtsfrieden als ausdruck bürgerlicher selbstzufriedenheit inszeniert. und so endet das gedicht folgerichtig mit dem berühmten schnitzlerzitat.
heute ist man ja von allen seiten bemüht, weihnachten „echten sinn“ zuzuschreiben. was einerseits ökonomische hintergründe hat, was aber meiner meinung nach noch mehr daher kommt, dass die sehnsucht nach friedlichem miteinander, nach gemeinschaft, zusammen- und zugehörigkeit usw. so groß ist, dass dieser ironisch-kritische zugang zu diesem fest der liebe nicht mehr so en vogue ist.
liebe (und seeehhr friedliche!) grüße von andrea
Danke für diese wiederum so sachkundige und schöne Gedicht-Interpretation, Andrea. Du beeindruckst mich einmal mehr.
Ja, inzwischen ist uns ein wenig die Ironie, die früher vergnügt konstatiert wurde, im Halse stecken geblieben. Zu absurd ist der ganze Weltbetrieb geworden, um sich darüber noch lustig machen zu dürfen und zu wollen.
Liebe, bescheidene und friedliebende Grüsse zu dir.
Dieser Advent mit Tucholsky gefällt mir. Danke für die Mühe, liebe Brigitte! Danke auch Andrea für die hilfreichen Kommentare. Sie packt diffuse Gedanken für uns in klare Worte und füllt oft auch Wissenslücken.
liebe Grüße von Ellen
Schön, die Kommentar, Ellen.
Auch dafür ein liebes Dankeschön und herzlichen Gruss in Richtung Weihnachten.
Weihnachten hat – wie alles – eine Kehrseite. Kurt Tucholsky war ein schlauer Beobachter und Andreas Interpretationen sind auch heute wieder eine Bereicherung. Weihnachten ist wohl einfach das, was man draus macht.
heitere Grüsse Britta
PS: ich bin bereits etwas wehmütig, dass nun nur noch vier Türchen übrig sind. Dein Adventskalender ist einfach wunderbar!
Das meine ich auch, Britta: Weihnachten ist, was wir daraus machen. :–)
Danke fürs schöne Lob und herzliche Grüsse zu dir in die Innerschweiz.
Stimmt,
liebe Frau Quer,
Tucholsky war ja ein Berliner! Der Spruch ist Klasse!
Und auch sonst hatte er ein gutes Gespür für menschliches Befinden und Verhalten und fand Worte/Wörter dafür…
Einen herzlichen Gruss in den heutigen Tag
Hausfrau Hanna
Ja, liebe Hausfrau Hanna, das Berlinerische drückt bei Tucholsky sympatisch durch. :–)
Und auch sonst gehe ich mit Ihnen einig.
Einen frohen Gruss auch von mir.
Gemimter Weihnachtsfrieden ist zumindest so etwas wie ein „Waffenstillstand“ 😉
Friedvolle Grüße verbunden mit einem Dankeschön für diesen tiefsinnigen Adventskalender.
Geanu. ;–)
Merci, Mona Lisa, und einen friedliebenden Gruss zu dir.
Auch heute noch gilt es, sich Weihnachten „am Riemen zu reißen“, Frieden um des lieben Friedens willen herstellen (!) – daraus können dann erst recht Konflikte entstehen.
Ach je, meint
Pepe (heute mal wegen des Reims)
Stimmt. Manche bringt erst dieses aufgesetzte „Gutsein“ so richtig in Rage. :–)
Wie auch immer: Sei froh gegrüsst, Petra!
Blätter voll süsser Plaudereien
wer braucht schon so etwas!!
Aber mal einen kurzen Blick reinwerfen
darf doch erlaubt sein
zur kitschigen Erbauung
nur deswegen.
😉
Liebe Grüsse
Gerhard
Richtig, dafür wird uns der kitschig-süsse „Schmuus“ ja auch aufgetischt. ;–)
Schöne Grüsse zu dir.
Schmonzes sagt man auch zum Schmuus.
Hör auf mit deinem Geseier…das hörte ich früher des öfteren. Leider seitdem kaum mehr. Vielleicht rede ich keinen Stuss mehr?!
Ist eh oft Tinnef, was man so vor sich hinsabbert, wenn man alleine mit sich ist. Selbst die Gehirngeräusche, so man nicht aktiv denkt, sind ja wie ein Rauschen und Quaken ohne Sinn.
Liebe Nachmittaggrüsse 😉
Gerhard
Köstlich, all diese Ausdrücke. 🙂
Merci, Gerhard.
Und lieben Abendgruss.
Da lohnt sich das Stöbern.
Andere Sprachen müssen auch eine überreiche Auswahl an zumeist abfälligen Umschrebungen von Gelabber kennen?!
Mittwochsgruß 🙂
Das denke ich auch. 🙂
Lieben Retourgruss.
dieser Tucholsky-Advent ist einfach ganz wunderbar! danke!
lieber gruß
Sylvia
Gern geschehen, Sylvia.
Mir machen die Tucholsky-Texte auch viel Spass.
Frohen Gruss zu dir.
Herrlicher Tucholsky *schmunzel *
Dankeschön fürs Präsentieren!
Herzliche Adventszeitgrüße
vom Finbar
Es war mir eine Freude, Lu.
Ebenfalls herzliche Grüsse in die Adventstage.
Meine Morgenblätter waren trächtig von Glatteisunfällen.
Vorbei….
Liebe Grüße von
Sonja
Ui, das hört sich nicht gut an.
Hier sind wir seit gestern im Plusbereich mit den Temperaturen.
Und jetzt wärmt zudem die Sonne.
Lieben Gruss.
liebe brigitte, danke für die erinnerung an tucholsky, ich lese seit tagen immer wieder schnipsel und nehme sie ganz neu wahr. herzliche grüsse für dich und freude in dieser woche wünscht roswitha
Das freut mich. Ja, aus dem Kontext ge“schnitten“ wirken solche Texte wieder ganz anders, manchmal wie neu. :–)
Sei auch lieb gegrüsst!
Bild und Text sind besonders schön, bzw. der Text ist eher pfiffig *sie mimen eben Weihnachtsfrieden . . .* und sehr ehrlich…
Wie viele werden Weihnachtsfrieden mimen, aber nach und nach reicht es ihnen mit dem Frieden und sie fetzen sich, daß die Schwarte kracht 🙂
Mein Mann ist sehr krank, liebe Brigitte, deshalb bin ich so selten präsent.
Oh, das tut mir so leid für euch.
Schlimme Krankheiten sind für alle Beteiligten nur schwer zu ertragen.
Ich wünsche euch von Herzen Zuversicht und deinem Mann hoffentlich Besserung und Genesung.
Ganz liebe Grüsse.