Archiv der Kategorie: Gedichte
Morgenlied
Foto Brigitte Fuchs
Sei stark, getreues Herze!
Lass ab von Angst und Schmerze!
Steh auf und geh mit mir,
Viel Freude zeig ich dir.
Die Lerchen jubilieren,
Und fröhlich musizieren
Aus grünem frischem Wald,
Von Stimmlein mannigfalt.
(…)
Im Garten zu spazieren
Die Blumen mich verführen,
Die Augen aus dem Grün,
Das Quellen und das Blühn.
(…)
Joseph von Eichendorff (1788-1857) deutscher Dichter
Drei von sechs Strophen des gleichnamigen Gedichts

Foto Brigitte Fuchs
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Für Beerensucher
Foto Brigitte Fuchs
Gingen zwei in einen Beerenwald;
Fand der Eine süsse Beeren bald;
Hat sich fleissig gebückt
Und emsig gepflückt;
Tat nichts als essen.
Der Andre indessen
Trug immer die Nase gen Himmel gericht,
Sah den lieben Herrgott oder macht‘ ein Gedicht,
Aber die süssen Beeren, die sah er nicht.
Tun mir leid alle Beide.
Ich liebe die Beeren- und Himmelsweide.
Ich hätte mir Beeren gesucht im Kraut
Und essend zum blauen Himmel geschaut.
Mir hätte keins das andre geniert,
Hätte Himmel und Beeren in eins skandiert.
Otto Julius Bierbaum (1865-1910) deutscher Journalist und Schriftsteller

Fotos Brigitte Fuchs
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Banaler Befund
Foto Brigitte Fuchs: Dürrenäsch/Kanton Aargau
Man mache sich nichts vor da ist nie
genug von dem da was uns die
Entscheidung brächte das Leben
lässt sich wunderbar vergeuden als
machte man just einen Winter- oder
Frühjahrsschlaf und käme verjüngt
wieder zurück zum Mittagstisch wo
waren wir gleich stehen geblieben
mein Lieber bei dieser Schwalbe und
diesem halben Sommer ja es ist schön
an das alles zu denken ohne Not
Brigitte Fuchs
Aus „Musik von weit her“, Gedichte, edition 8, Zürich 2020

Foto Brigitte Fuchs: Dürrenäsch/AG
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Dass die Rose dir zum Beispiel werde…

Foto Brigitte Fuchs
Dass die Rose dir zum Beispiel werde!
Sonne, Tau und süssen Wind von Osten
Allen Glanz und alles Glück der Erde
Weiss sie frei und unbesorgt zu kosten.
Des Propheten Weisheit braucht sie nicht
Denn sie lebt ja so, wie jener spricht.
Hafis oder Hãfez (um 1325-1390) persischer Dichter und Mystiker

Foto Brigitte Fuchs
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Zum Nationalfeiertag

In dieser Zeit, da überall das Wort
Sich schellenrasselnd drängt zum ersten Ort,
Da man mit Reden wider Reden ficht,
Aus Druckpapier sich Ruhmeskronen flicht –
In dieser Zeit gedenk‘ ich jenes Tags
Als auf dem Rütli, eisenfesten Schlags,
Drei Männer-Hände klammernd sich verschränkten,
Drei Männer schweigend Aug‘ in Auge senkten.
Zu Thaten war – zu Reden keine Zeit;
Man sprach ein Wort – das aber war ein Eid. –

In dieser Zeit, da »Freiheit« rings erschallt
Und unverstanden durch die Seelen hallt,
Ein jeder Freiheit meinend, die ihm passt,
Des andern Freiheit Ärger ihm und Last –
In dieser Zeit sei jenes Volks gedacht,
Das für die Freiheit Freistatt einst gemacht,
In einer Welt der Herren und Knechte
Aufstehend Einer für des Andern Rechte. –
(…)
Ernst von Wildenbruch (1845-1909) deutscher Dramatiker, Erzähler und Novellist
Die ersten zwei von drei Strophen seines Gedichtes „Der Schweiz“ – Zum 1. August 1891
Alle Fotos Brigitte Fuchs: Fahnen der Schweiz und des Kantons Aargau
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Himmelsleiter
Fotos Brigitte Fuchs
(…)
O, das war ein schöner Reigen,
Wie die Farben all’ ihn tanzten,
Wie die Blütenstern’ und Glocken
Kreisend sich in Beete pflanzten!
Aber in den Wundergarten
Senkte eine Jakobsleiter
Von zwei Strahlen sanft sich nieder
Aus zwei Sternen bläulich heiter!
(…)
Gottfried Keller (1819-1890) Schweizer Schriftsteller, Dichter und Politiker
Dritte von neun Strophen seines Langgedichts „Himmelsleiter“
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Vielleicht wieder mal
Fotos Brigitte Fuchs: Ein See (und Freibad) zum Verlieben, der Caumasee in Graubünden
Vielleicht wieder mal zuhören den
siebensprachigen Gezeiten das Ohr in
der Handmuschel von Welle zu Welle
die Nässe die Gischt im Gesicht nichts
weiter nur überschäumen untertauchen
im Gebraus sich festhalten mit dem
unsäglichen Licht sich anschwemmen
oder wegtragen lassen über all die
Tellerränder und Tischkanten hinaus
Brigitte Fuchs
Aus „Musik von weit her“, Gedichte, edition 8, Zürich 2020

Fotos Brigitte Fuchs: der Caumasee in Flims-Waldhaus
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Nur eine Stunde von Menschen fern
Nur eine Stunde von Menschen fern,
Nur eine einzige Stunde!
Statt der tönenden Worte des Waldes Schweigen,
Statt des wirbelnden Tanzes der Elfen Reigen,
Statt der leuchtenden Kerzen den Abendstern,
Nur eine Stunde von Menschen fern!
Nur eine Stunde im grünen Wald,
Nur eine einzige Stunde!
Auf dem schwellenden Rasen umhaucht von Düften,
Gekühlt von den reinen balsamischen Lüften,
Wo von ferne leise das Echo schallt,
Nur eine Stunde im grünen Wald!
Nur eine Stunde im grünen Wald,
Nur eine einzige Stunde!
Wo die Halme und Blumen sich flüsternd neigen,
Wo die Vögel sich wiegen auf schwankenden Zweigen,
Wo die Quelle rauscht aus dem Felsenspalt,
Nur eine Stunde im grünen Wald!
Auguste Kurs (1815–1892) deutsche Dichterin

Alle Fotos Brigitte Fuchs: „Waldkathedrale“ in Beromünster
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Juligarten

Fotos Brigitte Fuchs
Diese sommerleichte Welt
morgens schon kichert sie
zwischen Erbsen und
Blumenkohl schrittweit die
Steinplatten und am Himmel
Milchschaumwölkchen
wie hochgewachsene
Ziersträucher nein
Wasser fehlt nicht etwas
Sonne im Eimer da
steht sie gern auf und
rechnet übern Daumen
wie jung sie noch sei
Brigitte Fuchs
Aus „Es tanzt der Stein“ Gedichte, edition 8, Zürich 2014

Fotos Brigitte Fuchs
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Der Sommer
Fotos Brigitte Fuchs: Abendstimmung auf dem Homberg/Aargau
Die Tage gehn vorbei mit sanfter Lüfte Rauschen,
Wenn mit der Wolke sie der Felder Pracht vertauschen,
Des Tales Ende trifft der Berge Dämmerungen,
Dort, wo des Stromes Wellen sich hinabgeschlungen.
Der Wälder Schatten sieht umhergebreitet,
Wo auch der Bach entfernt hinuntergleitet,
Und sichtbar ist der Ferne Bild in Stunden,
Wenn sich der Mensch zu diesem Sinn gefunden.
Friedrich Hölderlin (1770-1843) deutscher Lyriker

Foto Brigitte Fuchs: Sicht auf den Hallwilersee, den Baldeggersee und die Rigi
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