Tagesarchive: 6. April 2018
Die geschmückte Krähe
Foto Brigitte Fuchs
Von jener Krähe Eitelkeit
Vernahm gewiss ein jeder,
Sie schmückte sich ihr dunkles Kleid
Mit einer Pfauenfeder
Und schritt mit stolzem Gang einher,
Als ob ein Pfau sie selber war’.
Die andern Vögel staunten
Und zischelten und raunten.
Da sprach die Witwe Wiedehopf —
Vor Jahren war sie jünger —
Und schaute mit zerzaustem Schopf
Aus ihrem Nest von Dünger:
„So sind die Weiber heutzutag;
Kein Wunder, dass sie niemand mag.
Mich ärgert noch zu Tode
Die abgeschmackte Mode.“
Das Wort vernahm auf seinem Baum
Ein hochbetagter Rabe.
Er sprach: „Die Weiber kenn’ ich kaum,
Ich bin ein alter Knabe,
Doch lieber wäre mir die Frau,
Die schmuck einhergeht wie ein Pfau,
Als eine, die im Miste
Erbaut sich ihr Geniste.“
Rudolf Baumbach (1840-1905) deutscher Dichter
Gedicht vom Online-Portal „Die Deutsche Gedichtebibliothek“
Veröffentlicht unter Bilder, Gedichte
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