Foto Brigitte Fuchs: Blick vom Homberg zu den Innerschweizer Bergen
Mein Fenster öffnet sich um Mitternacht,
Die Glocken dröhnen von den Türmen nieder,
Die Berge leuchten rings in Flammenpracht,
Und aus den dunklen Gassen hallen Lieder.
Will mir der Lärm, will mir der blut′ge Schein
Des nahen Völkerkriegs Erwachen deuten? –
Noch ist die Saat nicht reif. Die Glocken läuten
Dem neuen Jahr. – Wird es ein beßres sein?
Ein neues Jahr, in dem mit blassem Neid
Die Habsucht und die Niedertracht sich messen;
Ein neues Jahr, das nach Vernichtung schreit;
Ein neues Jahr, in dem die Welt vergessen,
Daß sie ein Altar dem lebend′gen Licht;
Ein neues Jahr, des dumpfe Truggewalten
Den Adlerflug des Geistes niederhalten;
Ein neues Jahr! – Ein beßres wird es nicht.
(…)
Frank Wedekind (1864-1918) deutscher Journalist, Dichter und Dramatiker
Erste zwei von elf Strophen seines Gedichtes „Silvester“