Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs: Auswahl in einem öffentlichen Bücherschrank

 

11

 

Nette Bücher

 

In diesen Blättern wird rechtens dauernd und ausgiebig auf gute Literatur hingewiesen. Ich halte es für kein Zeichen mangelnder Lebenskraft, wenn man auch einmal beherzt und klar sagt: heute, Sonntagnachmittag, habe ich mich auf ein Sofa hingelümmelt und geschmökert. Was? Allerhand. Aber es waren nette Bücher.

 

Kurt Tucholsky

 

 

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs: Wandbilder vor ein paar Jahren aufgenommen vor einem Kino in Freiburg im Breisgau

 

10

 

Die Bildstreifenausschüsse zur Prüfung kulturbildender Bildstreifen haben Richtlinien herausgegeben. Danach dürfen in Filmen, die auf das Prädikat »kulturfördernd« Anspruch haben wollen, nicht mehr vorkommen:

Mädchen über 19 Jahren – Mädchen unter 19 Jahren – unverheiratete Männer (an Männern überhaupt pro Film nicht mehr als zwei) – Totengräber – Lebedamen – Arbeitslose – Frauenärzte – Embryos – öffentliche Plätze bzw. Häuser – Großaufnahmen von Gliedmaßen aller Art – Küsse (nur Elternküsse) – Betrunkene – Hungrige – Bolschewisten – Prostituierte – Richter.

Insbesondere ist das Auftreten politisch Andersdenkender grundsätzlich verboten.

 

Kurt Tucholsky
In „Kleine Nachrichten“ 1932

 

Foto Brigitte Fuchs: Wie oben

 

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

 

9

 

(…)

Eine Geschichte? Dies ist eine schöne Geschichte.

Ein amerikanischer Milliardär – meine Geschichten spielen alle in vornehmer Gesellschaft – ein amerikanischer Milliardär wurde einst von einem Freunde gefragt: »Wie machen Sie das, Herr Moneymaker: auf jedem Ihrer Empfänge werden Ihnen Hunderte von Leuten vorgestellt, Menschen, die Sie nie vorher gesehn haben. Alle aber unterhalten sich mit Ihnen auf das trefflichste. Wie machen Sie das nur?« – »Ich habe mir da eine Methode ausgedacht«, sagte der Milliardär. »Ich frage jeden Menschen, der mir vorgestellt wird: Was macht Ihr Leiden –?«

 

 

Kurt Tucholsky

„Schnipsel“ aus dem Jahre 1932

 

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

 

8

 

Meditation, zum Coupéfenster hinaus

 

Wie die langen Telegrafenstangen
jene schwarzen, dünnen Drähte, die
grad sich zu erheben angefangen,
immer wieder niedergehen, wie

diese dunkeln regelmäßigen Stäbe,
die das Auf und Ab und Auf und Ab
stetig kontrollierend in der Schwebe
halten –:
also von der Wiege bis zum Grab

drückt auch dich, o Mensch, bei allem Streben
(seist du Amme, Kanzler, Redakteur),
drückt auch dich, o Mensch, im ganzen Leben,
nieder, nieder, nieder –
das Malheur.

 

Kurt Tucholsky

 

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

7

 

Die Träume

(…)

Keine Sorge, Leser, er findet ihn noch nicht. Er findet ihn wahrscheinlich erst abends, wenn er wieder den Fahrstuhl benutzen muß, um in die Werkstatt zu gelangen. Denn in eben diesem Elevator liegt Fritze Bumke – den Geräuschen in seinem Innern lauschend und selig lächelnd. Vor die Tür hat er seine Stiefel gestellt, wie sich das für einen ordentlichen Mann gehört. Seine rechte Hand tastet in der Luft streichelnd eine kugelige Rundung ab . . . Still – er spricht! –

»Blau wien Ritter!« spricht er. »Aber wat mir heute nacht jeträumt hat – vaflucht juchhe –! Ein paar janz dolle Nummern warn det – – Und ein Weib –! Junge . . . Junge . . . ! Ein Weib, sage ick dir – prost!« –

 

Kurt Tucholsky

Letzte Zeilen der Erzählung „Die Träume“ aus „Träumereien an preussischen Kaminen“

 

Foto Brigitte Fuchs: Skulptur „Reclining Woman“ von Fernando Botero in Vaduz/Liechtenstein

 

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

6

 

Weihnachten

Nikolaus der Gute
kommt mit einer Rute,
greift in seinen vollen Sack –
dir ein Päckchen – mir ein Pack.
Ruth Maria kriegt ein Buch
und ein Baumwolltaschentuch,
Noske einen Ehrensäbel
und ein Buch vom alten Bebel,
sozusagen zur Erheiterung,
zur Gelehrsamkeitserweiterung . . .
Marloh kriegt ein Kaiserbild
und nen blanken Ehrenschild.
Oberst Reinhard kriegt zum Hohn
die gesetzliche Pension . . .
Tante Lo, die, wie ihr wißt,
immer, immer müde ist,
kriegt von mir ein dickes Kissen. –
Und auch hinter die Kulissen
kommt der gute Weihnachtsmann:
Nimmt sich mancher Leute an,
schenkt da einen ganzen Sack
guten alten Kunstgeschmack.
Schenkt der Orska alle Rollen
Wedekinder, kesse Bollen –
(Hosenrollen mag sie nicht:
dabei sieht man nur Gesicht . . . ).
Der kriegt eine Bauerntruhe,
Fräulein Hippel neue Schuhe,
jener hält die liebste Hand –
Und das Land? Und das Land?
Bitt ich dich, so sehr ich kann:
Schenk ihm Ruhe –
lieber Weihnachtsmann!

 

Kurt Tucholsky

 

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs: Pan
Detail auf einem Wandfries „Bacchanalia“ des Jugendstilbildhauers A Meyer im Jahre 1900 am Seefeldquai in Zürich

 

5

 

 

Märchen

Es war einmal ein Kaiser, der über ein unermeßlich großes, reiches und schönes Land herrschte. Und er besaß wie jeder andere Kaiser auch eine Schatzkammer, in der inmitten all der glänzenden und glitzernden Juwelen auch eine Flöte lag. Das war aber ein merkwürdiges Instrument. Wenn man nämlich durch eins der vier Löcher in die Flöte hineinsah – oh! was gab es da alles zu sehen! Da war eine Landschaft darin, klein, aber voll Leben: Eine Thomasche Landschaft mit Böcklinschen Wolken und Leistikowschen Seen. Rezniceksche Dämchen rümpften die Nasen über Zillesche Gestalten, und eine Bauerndirne Meuniers trug einen Arm voll Blumen Orliks – kurz, die ganze moderne Richtung war in der Flöte.

Und was machte der Kaiser damit? Er pfiff drauf.

 

 

Kurt Tucholsky

 

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Foto Brigitte Fuchs

 

4

 

 

Vom Mann, der keine Zeitungen mehr las

 

(…)

Grillruhm bestellte seine Zeitungen ab.

Von da an wurde es stille und ruhig um A. G. Er hörte wohl noch ab und zu, daß jetzt wieder ein schreckliches Eisenbahnunglück in Jütland sich zugetragen habe, und daß in Cincinnati die reiche Frau des Mister E. H. Crocker sich scheiden lassen wolle, weil man ihr nicht die dreihundert Hüte jährlich bewilligte, die sie nötig zu haben meinte, um überhaupt atmen zu können. Auch erzählte ihm vielleicht einer seiner Bekannten, der noch ein Zeitungsabonnement und einen weiteren Gesichtskreis hatte, etwas von den Kongressen, auf denen alljährlich mit zwei Drittel Majorität beschlossen wird, daß der Mensch von nun ab keine unsterbliche Seele mehr aufzuweisen habe . . . In diesen Beziehungen war Grillruhm auf seine fleißig lesenden Bekannten angewiesen.

 

Foto Brigitte Fuchs

 

Aber dafür hatte der Grillruhm einen riesigen Vorteil.

Morgens, wenn die Sonne so recht butterweich ins Fenster schien, war es nun still um ihn. Sehr ruhig, ganz ruhig. Früher hatte es gebrüllt: 400 Verletzte! Neu-Einstudierung von Wielands ›Oberon‹!! Zu der Frage über die elektrischen Bahnen unserer Stadt wird uns noch geschrieben . . .

Jetzt nichts mehr von alledem. Grillruhm sah zum Fenster heraus, betrachtete die Vögel auf der stillen Straße, beobachtete, wie die Morgensonne in hellgrünen Baumblättchen glitzerte, und ließ sich den frischen Morgenwind um die Nase wehen. Die Stadt erwachte, der Himmel war zart pastellblau, die Luft frisch. Der Grillruhm freute sich dessen, und viele gute Gedanken kamen ihm nun, da er erlöst war.

Kurz: ein ruhiger Morgen.

(…)

 

Kurt Tucholsky
Ausschnitt aus „Vom Manne, der keine Zeitungen mehr las“ aus dem Jahre 1914

 

Foto Brigitte Fuchs

 

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

3

 

Schön ist Beisammensein. Die Haut friert nicht. Alles ist leise und gut. Das Herz schlägt ruhig.

 

Kurt Tucholsky

 

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

2

 

Das Grammophon

Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist,
Gebt volles Maß! –

 

(…)

 

Wenn es aber ganz spät geworden ist, dann hole ich meine Privatplatte heraus. Sie ist doppelseitig bespielt: auf der einen Seite trägt sie einen nun schon leicht angejahrten Modewalzer. Er hat den Gegentakt, ist sehr schwer zu tanzen und wird von einem kleinen Orchesterchen gespielt, mit feiner diskreter Besetzung. Das ist meist so gegen zwölf Uhr, der Rauch beißt in die Augen. – Es ist alles so leicht und angenehm und mühelos, wie wenn man in einem schönen weißen Dampfer flußab fährt. Und die Kapelle spielt, nur für mich allein, in memoriam.

 

Kurt Tucholsky

 

 

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