Foto Brigitte Fuchs: Historischer Briefkasten, gesehen vor Jahren in Basel
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Der Floh
Im Departement du Gard – ganz richtig, da, wo Nîmes liegt und der Pont du Gard: im südlichen Frankreich – da saß in einem Postbüro ein älteres Fräulein als Beamtin, die hatte eine böse Angewohnheit: sie machte ein bißchen die Briefe auf und las sie. Das wußte alle Welt. Aber wie das so in Frankreich geht: Concierge, Telefon und Post, das sind geheiligte Institutionen, und daran kann man schon rühren, aber daran darf man nicht rühren, und so tut es denn auch keiner.
Das Fräulein also las die Briefe und bereitete mit ihren Indiskretionen den Leuten manchen Kummer.
Im Departement wohnte auf einem schönen Schlosse ein kluger Graf. Grafen sind manchmal klug, in Frankreich. Und dieser Graf tat eines Tages folgendes:
Er bestellte sich einen Gerichtsvollzieher auf das Schloß und schrieb in seiner Gegenwart an einen Freund:
Lieber Freund!
Da ich weiß, daß das Postfräulein Emilie Dupont dauernd unsre Briefe öffnet und sie liest, weil sie vor lauter Neugier platzt, so sende ich Dir inliegend, um ihr einmal das Handwerk zu legen, einen lebendigen Floh.
Mit vielen schönen Grüßen
Graf Koks
Und diesen Brief verschloß er in Gegenwart des Gerichtsvollziehers. Er legte aber keinen Floh hinein.
Als der Brief ankam, war einer drin.
Kurt Tucholsky
Köstlich – und auf jeden Fall eine bessere Lektüre als der bis spätestens heute zu beantwortende Fragebogen zum „Mikrozensus 2022“, ich weiß nicht, wie oft ich die Frage nach der Staatsangehörigkeit meiner längst verstorbenen Eltern beantworten musste (es ist mindestens der dritte nahezu gleichlautende Fragebogen). Als hätte sich da etwas geändert.
Ich hab’s für dieses Mal hinter mir 😉
Herzliche Morgengrüße
Ach je! Mit Fragebögen tue ich mich auch schwer. Zum Glück ist bei uns der „Mikrozensus“ kein Thema. :–)
Mich hätte natürlich noch interessiert, was mit dem wundernäsigen Fräulein Emilie Dupont nach diesem Vorfall passierte…
Dir einen stressfreien Tag und liebe Grüsse.
Geplatzt ist sie allzeit nicht, die Gute!
Und das ist schon ein besonderer Floh, die Flöhe husten zu hören in Briefen, die man nur halber verstehen kann.
Liebe Grüsse
Gerhard
Das stimmt: Wer hört nicht ab und zu die Flöhe husten… :–)
Einen lieben Heutegruss.
ich vermute mal, dass graf koks zwar keinen floh in den brief getan, aber der neugierigen person einen ins ohr gesetzt hat. die flöhe dieser gattung sind ja noch viel lästiger als die aus fleisch und blut … die gute frau wird sich sehr oft und noch lang kratzen haben müssen!!!
lachende morgengrüße, andrea
Hi, hi, Andrea, genau!
Ein Lächeln zurück zu dir.
Das neugierige,
liebe Frau Quersatzein,
indiskrete Postfräulein Emilie bekam zum Glück ihren Meister in Gestalt eines klugen Grafen, der dazu noch Chuzpe hatte!
Eine herrliche Geschichte wiederum, über die ich mich sehr gefreut habe.
So wie auch über den Basler Briefkasten, der übrigens immer noch existiert und in ‚Gebrauch‘ ist 🙂
Lieben Gruss in die Weihnachtswoche, und bis morgen mit Tucholsky!
Hausfrau Hanna
Ja, es soll ihr eine Lehre gewesen sein. :–)
Und ich freue mich, liebe Hausfrau Hanna, dass der schöne Briefkasten mit dem „Basler Tübli“ noch an Ort und Stelle seinen Dienst verrichtet.
Einen lieben Retourgruss zu Ihnen.
Welche Mühe solche Indiskretion doch machen kann, allein einen Floh zu finden …
Mit einem Schmunzeln
Petra
Oh ja, das war keine leichte Aufgabe! :–)
Einen Schmunzelgruss zurück zu dir.
Auf fein, eine gute Idee, um einem indiskreten Menschen bestimmt eine reizende Begegnung zu verschaffen 🙂
Ich habe neugierige Nachbarn, die liebend gern im Müll anderer Leute stöbern … Es muss spannend sein, denn sie wurden schon mehrmals dabei erwischt.
Verwunderte Grüße,
C Stern
Tja, die Neugier, die ist bei manchen Menschen besonders ausgeprägt. :–)
Einen lieben Abendgruss zu dir.
Schon nach den ersten vorgelesenen Zeilen, sagte der Felix neben mir: Der Floh!
Er ist ein Fan von Tucholsky… 🙂
Deine Reihe macht ihm Freude.
Liebe Grüße,
Syntaxia (und Felix)
Wie schön! Das freut mich.
Lass ihn von mir grüssen, den Felix!
Und dir ebenfalls liebe Grüsse, Syntaxia.