Archiv der Kategorie: Gedichte

Mein Garten

Fotos Brigitte Fuchs; das Zitat auf dem Foto unten rechts ist von Papst Johannes XXIII.

 

Mein Garten ist ein Liederbuch,
Die Rosen und Reseden
Verstreuen weichen Wohlgeruch,
Im Wind die Bäume reden;
Sie flüstern Märchen mancherlei
Aus meines Lebens Gängen,
Wie oft ich Tor gewesen sei
Im Säumen und im Drängen.

Doch ob ich oft das Glück verschlief
In Lenz- und Sommerwinden,
Umsonst die Füsse blutig lief,
Mich an ein Ziel zu finden —
Ich traure nicht. Was kam und schied,
Verzichten und Erwarten,
Geht wie ein fernes, altes Lied
Traumhaft durch meinen Garten.

 

Jakob Christoph Heer (1859-1925) Schweizer Schriftsteller

 

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Mit scharfem Blick

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Mit scharfem Blick, nach Kennerweise,
seh´ ich zunächst mal nach dem Preise.
Und bei genauerer Betrachtung,
steigt mit dem Preise auch die Achtung.

 

 

Wilhelm Busch (1832-1908) deutscher humoristischer Dichter und Zeichner.

 

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Der Bauer und sein Kind

Fotos Brigitte Fuchs: Homberg im Kt. Aargau mit Sicht auf die Innerschweizer Berge

 

 

Der Bauer steht vor seinem Feld
Und zieht die Stirne kraus in Falten:
„Ich hab′ den Acker wohl bestellt,
Auf reine Aussaat streng gehalten;
Nun seh′ mir eins das Unkraut an!
Das hat der böse Feind getan.“

Da kommt sein Knabe hochbeglückt,
Mit bunten Blüten reich beladen;
Im Felde hat er sie gepflückt,
Kornblumen sind es, Mohn und Raden;
Er jauchzt: „Sieh, Vater, nur die Pracht!
Die hat der liebe Gott gemacht.“

 

 

Julius Sturm (1816-1896) deutscher Pfarrer und Dichter

 

Fotos Brigitte Fuchs: Homberg

 

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Sommerträume

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Kinder schläfern, heiss vom Hetzen,
dort wo die Alten sich zu Abend setzen,
und Herde glühn und hellen ihren Raum.

Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Abendglocken klar verlangen
und Mädchen, vom Verhallenden befangen,
sich müde stützen auf den Brunnensaum.

Und eine Linde ist mein Lieblingsbaum;
und alle Sommer, welche in ihr schweigen,
rühren sich wieder in den tausend Zweigen
und wachen wieder zwischen Tag und Traum.

 

Rainer Maria Rilke (1875-1926) österreichischer Lyriker deutscher und französischer Sprache
Aus den frühen Gedichten

 

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Hellsicht

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Die Treppe hinunter zusätzlich errichtet.

Für die Sätze im Präsens. Die paar Blicke

zum Tor. Nichts Endgültiges.

Die Spieler machen bloss Pause.

 

Jemand bringt uns die Post

auf diesem Drahtesel in Gelb:

Karten mit Nachträgen mit Vorwegnahmen.

Ferne Liebesbriefe. Dem Abschied voraus.

 

 

Brigitte Fuchs
Aus „Handbuch des Fliegens“ Gedichte, edition 8, Zürich 2008

 

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Der Philosoph ohne Regenschirm

Neue Regenschirmüberdachung in Olten

 

Es ist nicht alles schön auf dieser wunderschönen Welt,
Novemberstürme gibt es auch im Monat Mai.
Beschimpfe nicht den Regen, der auf dich herniederfällt,
bedenk: Der meiste Regen fällt an dir vorbei.

 

 

Fred Endrikat (1890-1942) deutscher Jurist und Dichter
Spruchgedicht aus der Sammlung „Liederliches und Lyrisches“

 

Foto Brigitte Fuchs: Olten

 

 

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Willisau oder doch Willi Sauer

Foto Brigitte Fuchs

 

 

So sauer ringt die kargen Lose
Der Mensch dem harten Himmel ab,
Doch leicht erworben, aus dem Schosse
Der Götter fällt das Glück herab.

 

 

Friedrich Schiller (1759-1805) deutscher Arzt, Dichter, Dramatiker, Philosoph und Historiker
Aus: „Das Geheimnis“, Gedichte, 1797

 

Foto Brigitte Fuchs

 

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Ehe du Schuhe kaufst

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Dein Schuh wird dich hassen,
Wenn du ihn nicht liebst,
Keiner kann sich dir anpassen,
Dem du keine Achtung gibst.

Was du trägst, soll auch dich tragen.
Bedenke, bevor du wählst, —
Sei es einen Schuh — dass du
Sozusagen
Dich mit ihm vermählst.

Achte, dass ihm weder Sohle noch Seele,
Nicht Qualität noch Charakter fehle. —
Jeder Schuh hat ein Gesicht.
Jeder Schuh spricht.
Adel, Güte, Schönheit — alle Gaben
Kann ein Schuh haben.

Kann ein Kinderschuh an sich
Schon so rührend sein. — Auch Leder lenkt das Leben.
Aber du musst wissen, mit wem du dich
Willst umgeben!

 

Joachim Ringelnatz (1883-1934) deutscher Dichter, Kabarettist und Seefahrer

 

 

Foto Brigitte Fuchs

 

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Im Park

Fotos Brigitte Fuchs: Ballypark in Schönenwerd

 

 

Sieh, der Kastanie kindliches Laub hängt noch wie der feuchte

Flügel des Papillons, wenn er die Hülle verliess;

Aber in laulicher Nacht der kürzeste Regen entfaltet

Leise die Fächer und deckt schnelle den luftigen Gang.

– Du magst eilen, o himmlischer Frühling, oder verweilen,

Immer dem trunkenen Sinn fliehst du, ein Wunder, vorbei.

 

 

Eduard Mörike (1804-1875) deutscher Dichter

 

Fotos Brigitte Fuchs: Ballypark in Schönenwerd

 

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Der Baum

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Man weiss es kaum,
Es lebt der Baum
Ganz wie im Traum
Im Weltenraum.
Er braucht sich niemals zu bewegen,
Denn für die Nahrung sorgt der Regen.
Es lebt der Baum,
Man weiss es kaum,
Ganz wie im Traum.

 

 

Kurt Schwitters (1887-1948) deutscher Künstler, Maler und Dichter (Dadaist)

 

Foto Brigitte Fuchs: Die Linde von Linn, im Mai 2018 fotografiert

 

 

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