Archiv der Kategorie: Gedichte

Mal wieder, weil es so schön passt …

 

Die Ameisen

In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Denn auf den letzten Teil der Reise.

(So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.)

Joachim Ringelnatz (1883-1934) deutscher Dichter, Kabarettist und Seefahrer

 

Alle Fotos Brigitte Fuchs

 

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Der Glücksvogel

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Es fliegt ein Vogel in dem Hain,
Und singt und lockt: man soll‘ ihn fangen.
Es fliegt ein Vogel in dem Hain,
Aus dem Hain in den Wald, in die Welt hinein,
In die Welt und über die See.
Und könnte wer den Vogel fangen,
Der würde frei von aller Pein,
Von aller Pein und Weh‘.

 

(…)

 

Adelbert von Chamisso (1781-1838) französisch-deutscher Naturforscher und Dichter
Erste von drei Strophen seines Gedichtes „Der Glücksvogel“

 

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Am See

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

1.

Im tiefen Walde einsam ruht
Der See mit dämmerblauem Schein,
Es zittert in die dunkle Flut
Des Sommers heisser Mittagsschein.

Ein Wasserröslein still erblüht
Im See so einsam, duftigrot,
Ein Schwan so einsam ihn durchzieht
Und singt sein Lied vor seinem Tod.

2.

Es blaut und glitzert im Grund der See
Zwei Schwäne darüber zogen;
Sie sangen ein Lied so süss und weh,
Es rauschten so leise die Wogen.

Ich stand am See und lauschte hinaus,
Als müsse ich ewig lauschen,
Als ob meiner Jugend toller Braus
Noch einmal vorbei muss′ rauschen.

 

 

Franz Alfred Muth (1839-1890) deutscher Geistlicher, Schriftsteller und Lyriker

 

Fotos Brigitte Fuchs

 

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Nichts lässt sich sagen über das Blau

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Nichts lässt sich sagen über das Blau

Jeden Abend waschen wir den Geruch

der Kindheit von den Füssen. Versuchen

die Farben auseinanderzuhalten. Das Gelb

steht Nerudas Vogel zu der das Nest mit

Zitronen füllt. Gelb in Gelb. Noch die in der

Luft vergrabene Hand schöpft Wasser aus

dem Meer. Nuancen.

 

Brigitte Fuchs
Aus „Solange ihr Knie wippt“, Gedichte, edition 8, Zürich 2002
Das Gedicht lehnt sich an an Pablo Nerudas „Buch der Fragen“

 

Fotos Brigitte Fuchs

 

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Es lacht in dem steigenden Jahr dir

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Es lacht in dem steigenden jahr dir
Der duft aus dem garten noch leis.
Flicht in dem flatternden haar dir
Eppich und ehrenpreis.

Die wehende saat ist wie gold noch,
Vielleicht nicht so hoch mehr und reich,
Rosen begrüssen dich hold noch,
Ward auch ihr glanz etwas bleich.

Verschweigen wir was uns verwehrt ist,
Geloben wir glücklich zu sein,
Wenn auch nicht mehr uns beschert ist
Als noch ein rundgang zu zwein.

 

 

Stefan George (1868-1933) deutscher Lyriker

 

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Seifenblasen

Fotos Brigitte Fuchs

 

Kinder, ihre Lust zu zeigen,
lassen Seifenblasen steigen,
Wie das schimmert im Sonnenschein,
ein’ge gross und ein’ge klein.
Die geblasen mit Durchschnittsmunde,
Hielten sich eine volle Sekunde;
Mehrere aber waren dabei,
Ja, das hielt sich bis zu zwei.
Eine stieg so hoch wie das Haus,
Da stiess sie an, da war es aus.

 

Theodor Fontane (1819-1898) deutscher Dichter und Schriftsteller

 

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Die Musse

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Sorglos schlummert die Brust und es ruhn die strengen Gedanken.

Auf die Wiese geh ich hinaus, wo das Gras aus der Wurzel

Frisch, wie die Quelle, mir keimt, wo die liebliche Lippe der Blume

Mir sich öffnet und stumm mit süssem Othem mich anhaucht,

Und an tausend Zweigen des Hains, wie an brennenden Kerzen

Mir das Flämmchen des Lebens glänzt, die rötliche Blüte,

Wo im sonnigen Quell die zufriednen Fische sich regen,

Wo die Schwalbe das Nest mit den törigen Jungen umflattert,

Und die Schmetterlinge sich freun und die Bienen, da wandl ich

Mitten in ihrer Lust; ich steh im friedlichen Felde

Wie ein liebender Ulmbaum da, und wie Reben und Trauben

Schlingen sich rund um mich die süssen Spiele des Lebens.

 

(…)

 

Friedrich Hölderlin (1770-1843) deutscher Dichter
Erste Strophe aus seinem Langgedicht „Die Musse“

 

Fotos Brigitte Fuchs

 

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Der Hitze trotzen

Fotos Brigitte Fuchs: Impressionen vom Umzug im Rahmen des Kinderfestes Rothrist am 28. 6. 2025

 

 

Nicht genug!

Lebenswogen,
Kaum verzogen,
Was ich ringend je ertrug:
Neue wollen
Mich umrollen,
’s ist noch lange nicht genug.

Schicksalsschmiede,
Drin zum Liede
Stark der Hammer auf mich schlug:
Frische Hitze,
Funkenblitze!
’s ist noch lange nicht genug.

 

 

Karl Henckell (1864-1929) deutscher Lyriker und Schriftsteller

 

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Flugzeuggedanken

Foto Brigitte Fuchs: Schaufenster

 

 

Dort unten ist die Erde mein
Mit Bauten und Feldern des Fleisses.
Wenn ich einmal nicht mehr werde sein,
Dann graben sie mich dort unten hinein,
Ich weiss es.

Dort unten ist viel Mühe und Not
Und wenig wahre Liebe. –
Nun stelle ich mir sekundenlang
Vor, dass ich oben hier bliebe,
Ewig, und lebte und wäre doch tot – –
O, macht mich der Gedanke bang.

Mein Herz und mein Gewissen schlägt
Lauter als der Propeller.
Du Flugzeug, das so schnell mich trägt,
Flieg schneller!

 

Joachim Ringelnatz (1883-1934) deutscher Dichter, Kabarettist und Seefahrer

 

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Passfahrt

Foto Brigitte Fuchs: Sustenpass

 

 

Da wo die Gebirge in den See kippen
weisswandig und steif auch im Sommer
da fahren noch immer die gelben
Postkutschen die Engkehren entlang
künden sich mit ihrem Dreiton an
oder warten bis Kühe bis Biker und
Oldtimer die Strecke säumig frei geben
für die ziellosen Blicke der Zeitreisenden

 

Brigitte Fuchs
Aus „Es Tanzt der Stein“, Gedichte, edition 8, Zürich 2014

 

 

Foto Brigitte Fuchs: Sustenpass

 

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