Archiv der Kategorie: Texte
Langsam, Schritt für Schritt …
Foto Brigitte Fuchs
Langsam, Schritt für Schritt die Treppe weiter hinauf! Wahrlich, die Welt bietet nicht solch ein Übermass von Genüssen, dass man sie in Sprüngen überfliegen dürfte. Und ist nicht jede Stufe, die man augenblicklich aufwärtssteigend betritt, ein Glück? Und ist nicht der Treppenabsatz, auf dem man einen Moment stillhält, und sich nochmals fasst, eine Seligkeit?
Wilhelm Raabe (1831-1910) deutscher Schriftsteller
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Krimskrams
Fotos Brigitte Fuchs
Mein Tagebuch soll sein wie eine Reisetasche, in die ich ungeprüft allen Krimskrams hineinwerfe. Wenn ich später nachsehe, ist das Durcheinander wie von Geisterhand geordnet, gesintert zu einem Ganzen, so fest und unnahbar wie ein Kunstwerk – aber so transparent, dass das Licht des Lebens durchscheint.
Virginia Woolf (1882-1941) englische Schriftstellerin
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Wald
Foto Brigitte Fuchs
Wenn ich nur Telephon habe, der Wald wird sich finden! Ohne Telephon kann man nur deshalb nicht leben, weil es das Telephon gibt. Ohne Wald wird man nicht leben können, auch wenn’s längst keinen Wald mehr geben wird. Dies gilt für die Menschheit.
(…)
Karl Kraus (1874-1936) österreichischer Schriftsteller, Publizist und Satiriker
Foto Brigitte Fuchs
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Kinderspiel
Foto Brigitte Fuchs
Des Menschen Leben… ist der vorbeihuschende Augenblick des Lebendigen, ist unser Kinderspiel auf Erden, ein Lichtschatten, ein fliegender Vogel, Spur eines fahrenden Schiffes, Staub, Nebelhauch, Morgentau und aufbrechende Blume.
Gregor von Nazianz (329-390 n.Chr.) griechischer Theologe und Bischof von Sasima; Patriarch von Konstantinopel
Foto Brigitte Fuchs
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Gedanken
Foto Brigitte Fuchs: Blick vom winterlichen Homberg
Was bleibt,
wenn wir Erde sind oder Asche?
Was wäre, wenn wir ewig blieben?
Ist es sinnvoll, Spuren zu hinterlassen,
welche
an kein Ziel führen?
Kann es anders sein als es ist oder
sorgen wir uns vergebens?
Vielleicht sogar umsonst.
Kurt Haberstich, *1948, Schweizer Lyriker, Schriftsteller und Aphoristiker
Veröffentlichung mit dem Einverständnis des Autors.
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Musik liegt in der Luft
Fotos Brigitte Fuchs
Refrain:
Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit,
es liegt in der Luft eine Stachlichkeit,
es liegt in der Luft und es liegt in der Luft, in der Luft!
Es liegt in der Luft was Idiotisches,
es liegt in der Luft was Hypnotisches,
es liegt in der Luft, es liegt in der Luft
und es geht nicht mehr raus aus der Luft.
Marcellus Schiffer (1892-1932) deutscher Kabarettautor, Grafiker, Maler, Chansontexter und Librettist.
Refrain aus einer Musikrevue in 24 Bildern mit Musik von Mischa Spoliansky aus dem Jahre 1928
(Neue Sachlichkeit)
Fotos Brigitte Fuchs
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Unerschöpflich
Foto Brigitte Fuchs: Aare
Der Gebrauch der Wörter ist ja von der Art derjenigen Dinge, die in dem Rechte der Natur, nach Art der Luft, des Sonnenlichtes und des Wassers grosser Flüsse, bei allem Gebrauche derselben, unerschöpflich sind, und also allen gemein bleiben müssen.
Johann Christoph Gottsched (1700-1766) deutscher Gelehrter und Schriftsteller
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In Wirklichkeit
Foto Brigitte Fuchs
Es ist ein sehr gewöhnlicher und weit verbreiteter Aberglaube, dass jeder Mensch ganz bestimmt ausgeprägte Eigenschaften habe, dass es also schlechtweg gute, böse, kluge, dumme, energische, apathische usw. Menschen gebe. In Wirklichkeit sind die Menschen nicht so beschaffen. Wir können von einem Menschen nur sagen, dass er häufiger gut als böse, häufiger klug als dumm, häufiger energisch als apathisch ist und umgekehrt; es wird der Wahrheit nicht entsprechen, wenn wir von dem einen Menschen sagen, er sei immer gut oder klug, und von einem andern, er sei immer böse oder dumm. Gleichwohl teilen wir die Menschen immer so ein – wie gesagt, mit Unrecht. Die Menschen sind wie die Ströme: das Wasser ist in allen gleichartig, überall ein und dasselbe, doch jeder Strom ist bald schmal und schnellfliessend, bald breit und langsamfliessend, ist abwechselnd rein, kalt, trübe oder warm.
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Leo Tolstoi (1828-1910) russischer Schriftsteller
Aus „Auferstehung. Erstes Buch“
Foto Brigitte Fuchs
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Gedicht von Wandkalendern
Foto Brigitte Fuchs: Kalender von Harenberg
In meiner Kindheit (und vielleicht nur in dem Land, in dem ich sie verlebt habe) gab es eine besondere Art von Wandkalendern, an die ich mich jedes Jahr in den Wintermonaten erinnere, wie man sich an Weihnachtsbäume und Grossmütter erinnert, an Bilderbücher und Bonbons, an alle Personen und Dinge, die einen Glanz, eine Süsse und eine Wärme hatten und die in ein gläsernes Grab gesunken scheinen, immer noch sichtbar, aber tot, Reliquien der heiligen Kindheit. Die Wandkalender bestanden, wie die heutigen auch, aus einem dicken Bündel neuer, glänzender, schwarzer und roter Tage, über die wie ein Bühnenvorhang ein buntes Blättchen gelegt war, darstellend einen Ast voll roter Kirschen oder ein Büschel Veilchen, jedenfalls immer ein blühendes Versprechen des neuen noch zugeklappten Jahres. Das Bündel der 365 Tage steckte an einem ziemlich grossen und breiten Pappendeckel, der die Wand, das senkrechte Fundament war, auf dem sich das neue Jahr zu erheben gedachte. Dieses harte Papier war von einem noch härteren Glanz überzogen, von einer lackierten Schicht, einer spiegelnden, gewölbten Oberfläche, in der sich die Sonne konzentrierte, wenn der Wandkalender gegenüber dem Fenster hing, und in der, wie eine ferne Erzählung vom Wetter, die Färbungen des Himmels und der Luft zu lesen waren. Doch war diese Eigenschaft des Glanzes nur eine angenehme sekundäre. Während das Wichtigste die gepresste, erhabene Illustration auf dem Pappendeckel war, die, obwohl sie das ganze Jahr naturgemäss nicht wechselte, dennoch nicht die gleiche zu bleiben schien und ihre Aktualität bis zum 1. Dezember bewahrte, zu welcher Zeit schon die Erwartung des neuen Kalenders das Bild auf dem alten gewohnt und gewöhnlich machte.
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Joseph Roth (1894-1939) österreichischer Schriftsteller und Journalist
Auszug aus „Gedicht von Wandkalendern“ in „Panoptikum“
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Diese guten Augenblicke
Foto Brigitte Fuchs
(…)
Es wird mir nicht leicht, Ihnen anzudeuten, worin diese guten Augenblicke bestehen; die Worte lassen mich wiederum im Stich. Denn es ist ja etwas völlig Unbenanntes, und auch wohl kaum Benennbares, das in solchen Augenblicken, irgendeine Erscheinung meiner alltäglichen Umgebung mit einer überschwellenden Flut höheren Lebens wie ein Gefäss erfüllend, mir sich ankündet.
(…)
Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) österreichischer Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker
Auszug aus „Ein Brief“ oder „Brief des Lord Chandos an Francis Bacon“
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