Der Axtdieb

Foto Brigitte Fuchs

 

Ein Mann fand eines Tages seine Axt nicht mehr. Er suchte und suchte, aber
sie war verschwunden. Der Mann wurde ärgerlich und verdächtigte
den Sohn seines Nachbarn, die Axt genommen zu haben.
An diesem Tag
beobachtete er den Sohn seines Nachbarn ganz genau. Und tatsächlich:
Der Gang des Jungen war der Gang eines Axtdiebs. Die Worte, die er sprach, waren die Worte eines Axtdiebs. Sein ganzes Wesen und sein Verhalten waren die eines Axtdiebs.

Am Abend fand der Mann die Axt durch Zufall hinter einem grossen Korb in seinem eigenen Schuppen. Als er am nächsten Morgen den Sohn seines Nachbars erneut betrachtete, fand er weder in dessen Gang noch in seinen Worten oder seinem Verhalten irgendetwas von einem Axtdieb.

 

 

Nach Laotse, 6. Jahrhundert v. Chr. chinesischer Philosoph

 

Foto Brigitte Fuchs

 

 

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20 Antworten auf Der Axtdieb

  1. Eva sagt:

    Und die modernen politischen Spin-Doktoren wissen sogar noch mehr – daß nämlich unsere Annahmen über Menschen unser Verhalten sogar dann noch färben, wenn sie sich als falsch erwiesen haben. Deshalb müssen wir immer so viel nachdenken.

    Aber jetzt erstmal Kaffee …

    Liebe Grüße von Eva

  2. Quer sagt:

    Ja, nachdenken hilft.

    Danke für diese erstaunliche Ergänzung, Eva, und einen lieben Gruss.
    Ich erhebe jetzt gleich auch die erste Tasse Kaffee zu einem Prosit auf den Sonntag. :–)

  3. merlin sagt:

    ja, wenn sich solche verdächtigungen als haltlos erweisen, kehrt scham ein und man fühlt sich wie ein begossener pudel oder so…
    ich erhebe meine grünteetasse zum prosit 😉
    einen frohen sonntag ohne axtdieb dir / euch 🙂

  4. Quer sagt:

    Genau, Merlin. Und ein Schatten dieses Unbehagens bleibt nicht selten über der Szenerie zurück. (Darum wollen wir lieber vorsichtig sein mit Verdächtigungen!)

    Merci und ein Prosit mit C.A.F.F.E.E! Juhee!

  5. Mona Lisa sagt:

    Zeigt einmal mehr den Unterschied zwischen reiner Beobachtung und Deutung dessen, was ist.
    Möge es ein wahrhaftiger Sonntag werden.
    Herzliche Grüße

  6. Hausfrau Hanna sagt:

    Wir sehen,
    liebe Frau Quer,
    im Aussen genau das bestätigt, womit wir uns im Innern beschäftigen…
    Eine aussagestarke Geschichte von/nach Laotse!
    Die Tasse Kaffee steht neben mir – lieben Gruss in den Sonntag aus der Blogküche
    Hausfrau Hanna

  7. Gerhard sagt:

    Was dazu passt:
    Es kommt bei Statistiken ja auch immer darauf an, für wen man die machen soll. Korrelationen lassen sich immer finden, die für das eine oder andere hindeuten.

    Liebe Grüsse
    Gerhard

  8. Syntaxia sagt:

    …und es entsteht allein in unserem Kopf ein Bild…
    Dies kann im Guten wie im Bösen so sein – nehmen wir lieber das Gute vorweg und lassen unser Gegenüber sich entsprechend verhalten (das kennen wir so wohl mit der rosaroten Brille…:-) ).

    Liebe Grüße,
    Syntaxia

  9. Wolfgang Nießen sagt:

    Liebe Brigitte,
    das ist sehr gut; erstaunlich, wie die Welt doch auf unsere Erwartungen eingeht ;-). Zu wünschen wäre allerdings, dass diese Tatsache immer in meinem Hinterkopf säße, und nicht nur da. Zweifel gegenüber seinem eigenem Urteil sollte man hegen, auch in einer Welt, in der die Gewissheiten Legion sind, und das zu jeder Zeit.
    Ich wünsche Dir noch einen wundervollen Restsonntag.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

    • Quer sagt:

      Stimmt, Wolfgang. Der eigenen Einschätzung sollte man nicht immer blind vertrauen. Sie kann sowohl im Positiven als auch im Negativen trügen…

      Ein Dankeschön und liebe Grüsse.

  10. Andrea sagt:

    Eine schöne Parabel, die uns auffordert, auch den eigenen Beobachtungen zu misstrauen. 😉 Allzu oft ist der Wunsch (auch nach Bestätigung dessen, das uns in den Sinn kommt) Vater dessen, das wir sehen. (Ich denke da auch an Ilse Aichingers Aufruf zum Misstrauen, wenn auch in bissl anderem Kontext)

    Liebe Grüße, Andrea

    • Quer sagt:

      Dieser Meinung bin ich auch, Andrea.
      Ein gründliches Nachprüfen der ersten Wahrnehmung und eine gesunde Skepsis bei Vermutungen sind sicher angebracht.

      Einen lieben Sontagsgruss zu dir.

  11. Sonja sagt:

    Eine üble Geschichte, die zu uns Menschen dazugehört, und sie geht nicht immer so gut aus…
    Gruß von Sonja

  12. Quer sagt:

    Du sagst es, Sonja. Es sind schon unbescholtene Menschen gelyncht worden aufgrund vorschneller und falscher Beschuldigungen.

    Sei lieb gegrüsst!

  13. C Stern sagt:

    Was für eine Geschichte – sie trifft zu, immer wieder und jeden Tag aufs Neue.
    So sehr ich mich auch bemühe, manchmal muss ich mich da auch selbst an der Nase nehmen. Genau solche interpretierenden Gedanken sorgen für soviel Unheil in dieser Welt! Man glaubt, Beobachtungen immer einordnen zu können – und dann sind die Tatsachen völlig anders, als der eigene Geist übersetzt …
    Die vielen Holzscheite auf Deinem Foto finde ich jedenfalls sehr beruhigend 🙂
    Herzliche Grüße,
    C Stern

  14. Quer sagt:

    Ja, das ist erstaunlich und erschreckend zugleich.
    Danke, C Stern, und einen lieben Abendgruss zu dir.

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