Der verspätete Wanderer

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Wo werd‘ ich sein im künft’gen Lenze?
So frug ich sonst wohl, wenn beim Hüteschwingen
Ins Tal wir ließen unser Lied erklingen,
Denn jeder Wipfel bot mir frische Kränze.

Ich wußte nur, daß rings der Frühling glänze,
Daß nach dem Meer die Ströme funkelnd gingen,
Von fernem Wunderland die Vögel singen,
Da hatt‘ das Morgenrot noch keine Grenze.

Jetzt aber wird’s schon Abend, alle Lieben
Sind wandermüde längst zurückgeblieben,
Die Nachtluft rauscht durch meine welken Kränze,

Und heimwärts rufen mich die Abendglocken,
Und in der Einsamkeit frag‘ ich erschrocken:
Wo werd‘ ich sein im künft’gen Lenze?

 

 

Joseph von Eichendorff (1788-1857) deutscher Dichter und Schriftsteller

 

 

Foto Brigitte Fuchs

 

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26 Antworten auf Der verspätete Wanderer

  1. Eva sagt:

    Da stellt Eichendorff eine Frage, die den Wert des und unser Vergnügen am gegenwärtigen Frühling nur erhöhen kann, also stellen auch wir sie ruhig.

    Liebe Grüße von Eva

  2. Quer sagt:

    Ja, die Frage steht im Raum.
    Und sie ist ewig gültig.

    Dir einen schönen Sonntag, Eva!
    Und herzliche Grüsse.

  3. merlin sagt:

    immer wieder spricht eichendorff das archetypische sehnen nach ungebundenheit und unterwegssein an. da kommt man oft ins träumen und sinnieren…und alles mit etwas melancholie garniert 😉
    einen schönen sonntag dir / euch und glg.

  4. Quer sagt:

    Das ist eine schöne Interpretation, Merlin. Dieser Deutung kann ich viel abgewinnen.
    Für mich ist da zudem noch die existenzielle Frage: Was wird sein in einem Jahr? Bin ich „im künft’gen Lenze“ noch da?
    Ja, Melancholie schwingt in jedem Falle mit.
    Dir / euch ebenfalls einen erfreulichen Sonntag, auch wenn wir wohl auf die Sonntagssonne verzichten müssen. :–)
    Lieben Gruss.

  5. Roswitha sagt:

    ein tageskreis, wie ein lebenskreis, geht zur vollendung. beim tag akzeptieren wir es einfacher als beim leben. jede stufe unterwegs hat ihren sinn, genau wie das morgenrot und die abenddämmerung. der text spricht mich an, in das ausflugslokal würde ich gerne auf einen kaffee gehen heute mittag. aber es geht nicht so, wie es in den kopf kommt. schönen sonn(-en)tag für dich, liebe brigitte, herzlichen gruß, roswitha

    • Quer sagt:

      Danke für diese schönen Ausführungen, Roswitha.
      Dir ebenfalls einen erfreulichen Nachmittag (mit oder ohne Kaffee im Grünen).
      Sei lieb gegrüsst!

  6. Gerhard sagt:

    Wieviel Lenze bleiben uns noch? Das fragt man sich jedes Mal wohl, wenn mühsam, dann aber doch mit Kraft, der Lenz neu hervorbricht.

    Liebe Grüße Gerhard

  7. Andrea sagt:

    besonders das erste foto hier ist ganz wunderbar, es fängt die stimmung ein, die auch bei uns (an diesem sonnogen wochenende) herrscht. genau um diese jahreszeit, wo der frühling so richtig loszulegen beginnt. ich liebe die sanftheit dieses trotzdem so kräftigen anfangs.

    in eichendorffs gedicht werden der jahres- und der tageslauf parallel zu lebenslauf gesetzt und das lyrische ich fragt sich, am abend angekommen, wo es im nächsten frühling sein wird. noch am / im leben?

    so ewig die jahres- und tagsläufe sind, so begrenzt sind die lebensläufe.

    aber jetzt genieße ich lieber erst mal den frühling! 🙂

    liebe grüße, andrea

    • Quer sagt:

      Fein, dass dir das erste Foto so sehr zusagt, Andrea.
      Ja, ich mag sie auch, diese sanften Anhöhen im Laufe des Jahres und insbesondere im Frühling.

      Und heute ist er nach einem trüben Morgen doch noch zu sehen und zu erleben, der sonnige Frühlingssonntagnachmittag.
      Liebe Retourgrüsse zu dir.

  8. Wolfgang+Nießen sagt:

    Wow, das ist gut, liebe Brigitte,
    ich sollte mehr Gedichte lesen. Meist werde sehr viel mehr Worte gebraucht, um zu sagen, was in diesen wenigen Zeilen steckt.
    Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

    • Quer sagt:

      Das freut mich, Wolfgang.
      Ja, es gibt sehr viele schöne, „jung gebliebene“ Gedichte aus früherer Zeit.
      Man darf sie sich ruhig öfter mal zu Gemüte führen. :–)

      Lieben Dank, freudige Grüsse und auch dir einen genüsslichen Sonntagnachmittag!

  9. Britta sagt:

    Wohl kaum eine andere Jahreszeit wird so herbei gesehnt. Im Frühlingsrausch fühlt man sich stark und fast unsterblich, in Aufbruchstimmung…das sinnieren bringt dann der Abend… mit Eichendorff und deinen Bildern!
    Heitere Frühlingsgrüsse
    Britta

  10. Quer sagt:

    Du bringst das Frühlingsgefühl sehr stimmig auf den Punkt, Britta.
    Ja, nach der Begeisterung und dem Glücksempfinden kommen fast zwingend auch die Ernüchterung und das Hinterfragen.
    Aber das ist sowieso immer miteinander verknüpft. :–)
    Merci und (nun) ebenfalls heitere Grüsse in den Sonntagnachmittag.

  11. Gundel Wismar sagt:

    Ich finde, man steuert ungebremst auf das Lebensziel = Friedhof zu. Egal in welchem Alter.
    Van Gogh hat es sich so zu Herzen genommen,
    und das Ohr abgeschnitten in seiner Verzweiflung darüber. Habs ausprobiert.
    Nicht sehr erbaulich.
    (Einfach das Jetzt genießen! Die kleinen Abschiede nimmt man doch vorher schon. Von Blüten, Mücken, Vespen usw, die man als die selben leider auch nie wiedersehen wird.)
    Lieber Abendgruß (; 🦗🪳 🌻 🕷
    Gundel

  12. Quer sagt:

    Natürlich steuert das Leben auf den Tod zu, Gundel.
    Nutzen wir also unsere Stunden, Tage und Jahre für Schönes, Sinnvolles, Beglückendes!
    Einen lieben Abendgruss zu dir.

  13. bruni8wortbehagen sagt:

    Es waren schon so viele Lenze und ich glaube,
    es werden noch viele kommen 🙂

  14. Quer sagt:

    Das stimmt, Bruni. Es werden noch viele Lenze kommen. Ob sie allerdings für uns kommen werden? Wer weiss das schon. Jeder kann der letzte sein.
    Einen lieben Abendgruss zu dir.

  15. Sonja sagt:

    Man sollte allem gelassen entgegen sehen.
    Keiner weiß, wie viele Momente, Tage, Monate, Jahre man noch hat in dieser schönen Welt…
    Grüße von Sonja

  16. Quer sagt:

    Du hast recht, Sonja.
    Genau so sollte man es machen, genau so.
    Lieben Abendgruss.

  17. Lo sagt:

    Wie gut, dass wir es nicht wissen.
    Darum, und ganz besonders darum sollten wir jeden Augenblick dieses Lenzes genießen und wie ein Geschenk wertschätzen.
    Herzliche Frühlingsgrüße zu Dir, liebe Brigitte!

  18. Quer sagt:

    Du sagst es, Lo.
    Lass uns die Zeit, die uns noch bleibt, wertschätzen und geniessen!
    Ebenfalls herzliche Frühlingsgrüsse zu dir.

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