Feldbeichte

Foto Brigitte Fuchs

 

Im Herbst, wenn sich der Baum entlaubt,
Nachdenklich wird und schweigend,
Mit Reif bestreut sein welkes Haupt,
Fromm sich dem Sturme neigend:

Da geht das Dichterjahr zu End‘,
Da wird mir ernst zu Mute;
Im Herbst nehm‘ ich das Sakrament
In jungem Traubenblute.

Da bin ich stets beim Abendrot
Allein im Feld zu finden,
Da brech‘ ich zag mein Stücklein Brot
Und denk‘ an meine Sünden.

Ich richte mir den Beichtstuhl ein
Auf ödem Haideplatze;
Der Mond, der muss mein Pfaffe sein
Mit seiner Silberglatze.

Und wenn er grämlich zögern will,
Der Last mich zu entheben,
Dann ruf‘ ich: «Alter, schweig‘ nur still,
Es ist mir schon vergeben!

Ich habe längst mit Not und Tod
Ein Wörtlein schon gesprochen!»
Dann wird mein Pfaff vor Ärger rot
Und hat sich bald verkrochen.

 

Gottfried Keller (1819-1890) Schweizer Dichter und Romancier

 

 

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24 Antworten auf Feldbeichte

  1. waldviertelleben sagt:

    taubenblut habe ich gelesen und mich gewundert. heute ist die nacht der schrecklichen gestalten. und vollmond noch dazu! aufpassen!
    liebe grüße
    ingrid

  2. Quer sagt:

    Ja, heute könnte es spuken und rumoren.
    Vorsicht ist geboten! :–)
    Lieben Gruss zu dir.

  3. merlin sagt:

    wieder hast du eine keller-trouvaille gemacht 🙂
    nun, dann hoffe ich für ihn, dass er das „absolvo te“ vom mond erhalten hat 😉
    glg. durch den morgennebel.

  4. Quer sagt:

    Der Mond ist ja sowas von gütig und verständnisvoll. Wenn er nicht gerade voll angeschmiert wird…
    Keller bekam sicher auch von ihm die Absolution. :–)
    Lieben Morgengruss zurück zu dir.

  5. Valentina sagt:

    Ein wunderschönes Mondbild!
    auch heute zieht er seine Bahn in Volllicht.
    Herrlich, das Schmunzelgedicht von G.K. zum strengen Katholizismus.
    Ein stimmungsvolles Oktoberende!
    mlg

  6. Quer sagt:

    Danke, Valentina.
    Ja, das Keller-Poem lässt schmunzeln.
    Dir auch einen schönen letzten Oktobertag und einen hübschen Vollmondabend!
    Lieben Gruss.

  7. Eva sagt:

    Bei dieser Einstellung zu den Dingen wird einem doch etwas leichter zumute – ich werde heute abend ein Glas mit und auf den Dichter heben und ihm zunicken da oben.

    In diesem Sinne und Geiste ein herzlicher Gruß von
    Eva

  8. Quer sagt:

    Das ist eine prima Idee, Eva.
    Das könnte ich glatt auch in Betracht ziehen. :–)

    Danke dir und herzlichen Retourgruss im selben Geiste.

  9. Gerhard sagt:

    Eine Feldbeichte wäre das richtige, all die Pfaffen sind eh von vorvorgestern 😃
    Und ein guter Wein ist niemals ein schlechter Rat.😃
    Gruss
    Gerhard

  10. mona lisa sagt:

    Das ist aber ein gelungenes Vollmondbild –
    sehr schön.
    Liebe Grüße

  11. Quer sagt:

    Das freut mich, Mona Lisa.

    Sei auch lieb gegrüsst!

  12. seelenruhig sagt:

    Er braucht den Mond doch gar nicht – und schon erst recht keinen Pfaffen… Er macht es mit sich selber aus.
    Ich wünsche ein genussvolles Vollmondwochenende. liebe Grüße von Ellen

  13. Lo sagt:

    Auf den Mond ist immerhin Verlass.
    Er kommt mit Sicherheit immer wieder, um zuzuhören,
    nimmt alles Gehörte mit, verdünnisiert sich,
    um dann strahlend zurückkehren.
    Und alles ist gut.

  14. Quer sagt:

    Ja, er ist ein wunderbarer Begleiter durch Freud und Leid und jede Jahreszeit!
    Merci, Lo, und schöne Grüsse.

  15. sylvia sagt:

    witzig! der mond als grämlicher beichtvater,
    auch noch errötend:-))). die absolution
    erteilt sich das beichtkind fix selbst, so
    lob ichs mir!
    lieber gruß
    Sylvia

    p.s. die fotos sind sooo eindrücklich!

  16. Monika Brandenstein sagt:

    Ein so schönes Mondfoto! Ich würde sagen, du hast den ‚Goldenen Schnitt‘ voll drauf, liebe Brigitte! 😉 Herzliche Grüße aus der Ferne – Monika

    • Quer sagt:

      Lieben Dank, Monika. Dein Lob freut mich sehr.
      Leider ist dein Kommentar im Spam gelandet und erst heute, bei Arbeiten im Blog-Hintergrund, sichtbar geworden.
      Sorry und ganz herzlichen Gruss.

  17. Quer sagt:

    Ich finde das Gedicht auch sehr erheiternd und verschmitzt.

    Vielen Dank, Sylvia, und herzlichen Gruss.

  18. Miz Ilse sagt:

    Liebe Brigitte, ich wollte dir sagen dass ich deine Beiträge mit Vergnügen lese (dieser Mond!), aber selten kommentiere. Ich muss nämlich jedes Mal meine ganzen Daten neu eintragen – etwas mühselig.. liebe Grüße aus dem neuerlichen lockdown

  19. Quer sagt:

    Danke fürs Lob, liebe Ilse.
    Ja, das ist mühselig für dich. Mal sehen, ob sich da im Hintergrund etwas machen lässt…
    Bleib munter und gesund und komm gut durch die ausgebremste Zeit!

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