Letzter Hafen

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Rauer Wind für den alten Kapitän sein

Schiff knarrt das Leck im Unterdeck rostet

was gäbe so einer für ein neues Logbuch

für eine Handbreit Wasser unter dem Kiel

ach die Augen sind längst keine Ausgucke

mehr da draussen nur Land in Sicht und

am Rollator weder Anker noch Segel

 

 

Brigitte Fuchs
Aus „Musik von weit her“, Gedichte, edition 8, Zürich 2020

 

 

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24 Antworten auf Letzter Hafen

  1. Andrea Heinisch sagt:

    Man kennt ja die Metapher, wo das Einfahren in den Hafen den ruhigen Endpunkt nach stürmischer Fahrt bedeutet. Dein Gedicht geht einen Schritt weiter: das Schiff (des Lebens) schaukelt hier nicht angenehm ruhig/beruhigt im Hafen, es liegt bereits am Trockendock oder womöglich nicht mal mehr dort, denn das Leck im Unterdeck wird ja nicht mehr gerichtet: dieses Schiff wird nicht mehr in See stechen. Der raue Wind, der dem Kapitän um die Nase weht, ist nicht der aufregende, nach Salz riechende Wind, der übers Meer weht, es ist der raue Wind der Realität, nämlich dass das Leben (auf See) vorbei ist: keine (Aus)Sicht(en) mehr, kein Fortkommen.

    Das ist ein trauriges, resignatives Gedicht, da tut das Foto, das du dazu gestellt hast, direkt gut. Die Kapitänin, die da zu sehen ist, ist zwar auch im Hafen angekommen und wird wohl nicht mehr in See stechen, aber über ihr schwebt ein schöner, blauer Himmel, wir sehen an südliche Urlaube erinnernde Sonnenschirme und die Kapitänin selbst steht wie am Ausguck auf einem Segelboot erhöht, schaut zu uns herunter und winkt uns zu. 🙂

    Liebe Grüße, Andrea

  2. Quer sagt:

    Deine Interpretation meines Poems ist wunderbar, liebe Andrea.
    Sie trifft den Kern meiner Aussage sehr genau und fasst diese Erkenntnis gekonnt in Prosa. Ich bin beeindruckt und danke dir herzlich dafür.

    Beim Foto muss ich eine kleine Berichtigung anfügen. Es ist keine Frau, sondern ein älterer Mann, der vom Dach winkt. Das Gebäude ist tatsächlich eine Altersresidenz.
    Wie der alte Herr sah, dass ich zu ihm hochblickte und den Fotoapparat „ansetzte“, winkte er mir spontan zu. Und ich winkte natürlich freudig zurück… (Allerdings entstand das Gedicht lange vor dieser Begegnung, steht also nicht direkt im Zusammenhang mit diesem „Kapitän“.)

    Dies zum fotorealistischen Hintergrund. :–)
    Dir einen schönen Herbstsonntag und lieben Gruss.

  3. Eva sagt:

    Ja, so ist es. Aber vielleicht kommt ab und zu ein junger Mensch vorbei mit einer Riksha und lädt alte Kapitäne auf eine Spazierfahrt ein, bei der ihnen noch einmal der Wind um die Nase fliegt.

    Liebe Grüße von Eva

  4. Quer sagt:

    Das ist anzunehmen, Eva, oder zumindest sehr zu hoffen!
    Danke für deine optimistische Herangehensweise.
    Ja, auch für gestrandete Kapitäne gibt es noch die eine oder andere beglückende Stunde, die im Logbuch vermerkt werden kann.

    Herzliche Sonntagsgrüsse zu dir.

  5. Britta sagt:

    Eine traurige Melodie wunderschön geschrieben. Es geht unter die Haut. Hoffen wir, dass an Land geliebte Menschen warten, wenn schon das Schiff nie mehr in See sticht.
    Heitere Grüsse und einen schönen Sonntag
    Britta

  6. Quer sagt:

    Aber ja, eine liebevolle Umgebung ist besonders im Alter überaus wichtig und wertvoll.
    Herzlichen Noch-Nebelgruss zu dir.

  7. Zitante Christa sagt:

    Sehr, sehr schön und bewegend, liebe Brigitte,

    ich denke da sofort an meine Mutti, die in einer Seniorenresidenz lebt, die zwar nicht am Wasser, aber auf der Höhe steht und die mit ihrem Rollator nicht mehr hinunterkann, weil die Zugangswege zu steil sind. Da würde auch ein Anker (oder ein Segel, beim Aufgang) nicht helfen – die Vorstellung ist jedoch sehr amüsant!

    Sie schreibt täglich in ihrem „Logbuch“ und sie hat mir schon mitgeteilt, daß, wenn ich diese Jahrbücher mal lese, ich mich auf die ein oder andere Überraschung gefaßt machen kann. Positive wie negative, und ein Ausblick auf meine Alterszeit, das sind 20 Jahre mehr als heute…

    Bewahren wir uns die Lebensfreude bis dahin, so wie der Herr auf dem Sonnendach, und freuen uns über jeden Tag, an dem wir noch für uns selbst das Steuer in der Hand halten dürfen…

    Einen lieben (winkenden) Gruß,
    Christa

    • Quer sagt:

      Danke für deine freudigen, sehr persönlichen Zeilen, liebe Christa.
      Es ist wahrlich ein Geschenk, wenn man im Alter noch fähig ist, zumindest das „Logbuch“ führen und so auch im Austausch mit den jüngeren Generationen bleiben zu können.
      Und bis dahin empfiehlt es sich, das Leben in all seinen Facetten zu schätzen und zu geniessen.

      Ahoi und lieben Gruss zu dir.

  8. Gerhard sagt:

    Winke winke, so geht ein aktives Leben dahin.
    Liebe Grüße Gerhard

    • Quer sagt:

      Richtig, das Alter kann man nicht wesentlich aufhalten – noch nicht. :–)
      Lieben Retourgruss.

      • Gerhard sagt:

        Ja, es ist erstaunlich, wie Kräfte allmählich schwinden.
        Irgendwann beginnt es mit dem Wenigerwerden der Möglichkeiten und es setzt sich dann immer mehr fort.
        Der heute vitale Mensch kann in 2 Jahren schon ein anderer geworden sein. Und fragt sich, wie er dahin gekommen ist.
        Seltsam.

  9. mona lisa sagt:

    Wehmut
    das spricht für mich aus dem Gedicht und dem Bild.
    Er erinnert mich an das Winken meines Vaters, wenn er am Fenster stand und wir beide zum Schluss nie wussten, ob es nun das letze Mal war.
    Nachdenklich wehmütige Sonntagsgrüße

  10. Quer sagt:

    Oh, wie schön, dieses erinnerte Bild an deinen Vater!
    Wehmut ist genau der Ausdruck, der zu deinen Erinnerungen und meinem Poem passt.
    Vielen Dank und lieben Gruss.

  11. merlin sagt:

    eine handbreit wasser unter dem kiel – wie schön.
    bewegende kommentare wurden heute bereits verfasst. wunderbar.
    das lässt mich geniessen, sinnieren und schweigen.
    einen schönen sonntag dir und glg.

  12. Quer sagt:

    Danke, Merlin.
    Du kennst ja das Gedicht schon länger.
    Deine Zeilen freuen mich sehr. Und ich mag auch das Schweigen. (Man kann einen Text auch zerreden… :–) )
    Hab ebenfalls einen schönen Tag und sei herzlich gegrüsst!

  13. Hausfrau Hanna sagt:

    Ich habe vorhin,
    liebe Frau Quer,
    das Gedicht im blaugrünen Gedichtband gesucht.
    Und nochmals laut gelesen. Um die Worte sinken zu lassen.

    Mit einem herzlichen Gruss in den sonnigen Sonntag
    Hausfrau Hanna

    PS. Der alte Kapitän auf dem Dach sieht aus wie Einstein…

  14. Quer sagt:

    Das freut mich, liebe Hausfrau Hanna.
    Ja, der Herr auf dem Dach hat Ähnlichkeiten mit Einstein. :–)
    Herrlich!

    Nun bricht auch bei uns die Sonne durch: Der Sonn-Tag kann beginnen!
    Einen lieben Mittagsgruss zu Ihnen.

  15. Gundel Wismar sagt:

    Der letzte Hafen ⚓ muss es ja nicht sein. Hier gibt es einige Familien, die alte Menschen aus Heimen zu sich genommen haben. Die alten Leute leben zwar jetzt in anderen Städten, werden aber liebevoll behandelt, und haben teilweise auch kleine Aufgaben.
    Lieber Gruß (:👒
    Gundel

  16. Quer sagt:

    Auch die Familie kann ein letzter Hafen sein, finde ich.
    Ich möchte da nicht werten.
    Aber liebevolle Bahandlung macht es so oder so leichter, auf die grossen Lebensfahrten zu verzichten. :–)
    Ebenfalls einen lieben Gruss.

  17. Sonja sagt:

    Alle Kommentare wunderbar!
    Meine Fantasie ging mit mir durch: vielleicht kommt der Herr im rosa Bademantel grad aus dem Pool,den es dort oben gibt, macht gleich einen der weißen Sonnenschirme auf und bekommt darunter auf einem Tischchen ein Herrengedeck serviert. Vielleicht ist aber auch alles ganz anders.
    Dein Gedicht eh sehr schön…(beim lauten Lesen mit der Stimme ein bisschen nach unten am Schluss)
    Gruß von Sonja

  18. Quer sagt:

    Deine Assoziationen sind auch wunderbar, liebe Sonja.
    Es kann alles so sein, wie du schreibst, denn ich kenne die Lokalitäten dort nicht. Wir sind nur vorbeispaziert… :–)
    Lieben Dank und schönen Gruss in die neue Woche.

  19. seelenruhig sagt:

    Hut ab! Das ist sehr tief gehend und ich danke dir dafür. Ich mag den „Kapitän“, der da oben runter winkt. Man braucht viel Tapferkeit für den Abend des Lebens. Humor, wenn man es schafft, hilft auch sehr….
    sei lieb gegrüßt von Ellen

  20. Quer sagt:

    Du weisst das natürlich aus eigener Anschauung und eigenem Engagement für alte Kapitäninnen und Kapitäne, liebe Ellen.
    Ja, Mut und Humor sind wohl die wichtigsten Eigenschaften für diese letzten Zeiten an Land.
    Auch dir lieben Dank und herzlichen Gruss.

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