Über den Dächern

 

Über den Dächern
schwebt Rauch
und ein sanftes Gebimmel
klingt von den Türmen der Stadt.
Meine Sehnsucht fliegt in den Himmel.
Wie es durch das Fenster zieht … !

Wozu arbeiten?
Wozu tätig sein?
Wozu in die Versammlungen gehn?
Ich habe nur meine beiden Hände.
Was steht am Ende –?
Das habe ich an Vater gesehen.
Wie es durch das Fenster zieht … !

 

 

Diese Dachkammer hat der alte Mann.
Dafür fünfundfünfzig Jahre
Arbeit, keinen Tag Urlaub,
Sorgen und graue Haare.
Meine Gedanken hängen am Horizont –

Wo ist unser Glück … ?
Und da kommen plötzlich alle meine Gedanken zurück.
Gleich springe ich auf die Beine
und werfe die Arme um den Leib,
weil mich friert …
Ich bin nicht mehr allein.

 

 

Wir sind stark, wenn wir zusammenhalten:
die Starken und Schwachen, die Jungen und Alten.
Wenn nur der Wille fest bleibt und unsere Partei.
Da bin ich dabei.
Noch einmal sehe ich über die Stadt
und die Dächer …
Schon mancher hat mit trocken Brot und armseligem Essen
in so einer zugigen Dachkammer gesessen.
Mancher, der nachher ein Reich erobert hat.

 

Kurt Tucholsky (1890-1935) deutscher Journalist, Schriftsteller und Publizist

 

Alle Fotos Brigitte Fuchs: Altstadt Aarau

 

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14 Antworten auf Über den Dächern

  1. merlin sagt:

    schöne zeilen von tucholsky und wunderbar bebildert!
    über den dächern behält man die übersicht 🙂
    das wünsche ich euch heute auch 😉
    glg.

  2. Britta sagt:

    Kurt Tucholsky lese ich immer wieder gerne. Seine Texte passen auch heute noch.
    Dein Blick über die Dächer der Stadt ist schön.
    Heitere Grüsse in den regnerischen Tag

    • Quer sagt:

      Ja, er bleibt erstaunlich aktuell.
      Blicke über eine Altstadt finde ich fast überall schön.
      Und hier war der Nachmittag trocken und bot gegen Abend sogar Aufhellungen mit etwas Sonne.
      Sei auch lieb gegrüsst!

  3. Eva sagt:

    Sich in einer zugigen Dachkammer Mut machen mit dem großen Ausblick … das klappte nicht so richtig, wie man weiß. Möge unser Ausblick über die Dächer ein friedlicherer bleiben.

    Liebe Grüße von
    Eva

  4. Quer sagt:

    Die Zeiten lassen sich in dieser Hinsicht nicht mehr vergleichen, das stimmt.
    Die Orte für solche Ausblicke sind weniger zugig, kalt und ärmlich und darum unbesorgter. Zum Glück!

    Ebenfalls liebe Grüsse zu dir.

  5. Sonja sagt:

    Schön, diese Zeilen und der Blick, nur störend diese auf dem Boden liegende Bettdecke, na ja, wer weiß, warum die da liegt,der Witterung ausgesetzt…
    Nachtgruß von Sonja

  6. mona lisa sagt:

    Dachkammern – können magische Orte sein, dem Himmel so nah.
    Herzliche Spätabendgrüße

  7. Gerhard sagt:

    Grosses Kissen und Wasserflasche? Wer lag da?

  8. Quer sagt:

    Kinder vielleicht…
    Schönen Gruss zu dir.

  9. seelenruhig sagt:

    Irgendwie bin ich auch leicht verwirrt… das sind doch menschliche Umrisse?!!! Schaue/lese ich zu viel Krimis?

  10. Quer sagt:

    Du meinst, da war eine Leiche verpackt, Ellen. Hoffentlich nicht!!!
    Die Umrisse könnten zwar stimmen, der Kopf scheint mir aber überdimensional gross.
    Na ja, ich denke, du hast wirklich zu viele Krimis geschaut. Und ich muss jetzt bei diesem unschuldigen Daunendeckenbild immer an einen Mord denken. ;–)

    Lieben Abendgruss zu dir.

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