Foto Brigitte Fuchs
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Vom Mann, der keine Zeitungen mehr las
(…)
Grillruhm bestellte seine Zeitungen ab.
Von da an wurde es stille und ruhig um A. G. Er hörte wohl noch ab und zu, daß jetzt wieder ein schreckliches Eisenbahnunglück in Jütland sich zugetragen habe, und daß in Cincinnati die reiche Frau des Mister E. H. Crocker sich scheiden lassen wolle, weil man ihr nicht die dreihundert Hüte jährlich bewilligte, die sie nötig zu haben meinte, um überhaupt atmen zu können. Auch erzählte ihm vielleicht einer seiner Bekannten, der noch ein Zeitungsabonnement und einen weiteren Gesichtskreis hatte, etwas von den Kongressen, auf denen alljährlich mit zwei Drittel Majorität beschlossen wird, daß der Mensch von nun ab keine unsterbliche Seele mehr aufzuweisen habe . . . In diesen Beziehungen war Grillruhm auf seine fleißig lesenden Bekannten angewiesen.
Foto Brigitte Fuchs
Aber dafür hatte der Grillruhm einen riesigen Vorteil.
Morgens, wenn die Sonne so recht butterweich ins Fenster schien, war es nun still um ihn. Sehr ruhig, ganz ruhig. Früher hatte es gebrüllt: 400 Verletzte! Neu-Einstudierung von Wielands ›Oberon‹!! Zu der Frage über die elektrischen Bahnen unserer Stadt wird uns noch geschrieben . . .
Jetzt nichts mehr von alledem. Grillruhm sah zum Fenster heraus, betrachtete die Vögel auf der stillen Straße, beobachtete, wie die Morgensonne in hellgrünen Baumblättchen glitzerte, und ließ sich den frischen Morgenwind um die Nase wehen. Die Stadt erwachte, der Himmel war zart pastellblau, die Luft frisch. Der Grillruhm freute sich dessen, und viele gute Gedanken kamen ihm nun, da er erlöst war.
Kurz: ein ruhiger Morgen.
(…)
Kurt Tucholsky
Ausschnitt aus „Vom Manne, der keine Zeitungen mehr las“ aus dem Jahre 1914
Foto Brigitte Fuchs
Ich lese auch keine Zeitungen mehr, nur noch im Netz.
Besser ist es dadurch auch nicht geworden.
Grillruhm konnte wenigstens immer abwägen
was er hören wollte, was er ranlies.
Er beschränkte sich auf Sonnenaufgang
und Blätterfall sowie auf das Glänzen seiner Schuhe!
Nimms nicht krumm, lieber Kurt
daß ich deine Erzählung etwas weitersponn.
Gruß
Gerhard
und grüss mir die Brigitte!
😉
Mir geht es ähnlich, Gerhard. Eigentlich lese ich viel lieber solche weitergesponnenen Geschichten als die Mitteilungen über Krieg, Streiks, Unfälle und Verbrechen.
Aber ganz ums Tagesgeschehen kommen wir wohl nicht herum.
Danke für deine schöne Reaktion und die süssen Grüsse! :–)
Die ich gerne erwidere.
ob es wirklich so beschaulich ist/bleibt, nur weil man nicht weiß, was es jenseits des butterweichen lichts der sonne, die einem ins fenster scheint, noch gibt? wobei ich da nun nicht gerade die gazettenneuheiten meine. – aber ich weiß natürlich, was tucholsky meint und ja, man muss sich wirklich nicht jeden schmarrn zu gemüte führen und darüber die schönheiten der welt vergessen!
foto: schon wieder so ein geschenk/ter blick, den du eingefangen hast !!
großartig.
wie der mann dasitzt, die beine übergeschlagen (= ich sitze hier und das nicht nur für einen augenblick), den kopf halbversunken in der zeitung, wie ihm das sakko bissl verloren hinten über die bank hängt. wie vor ihm das wasser liegt und ihm die ruhe, die stille, die weite luft (von weither), den horizont zum versinken gibt. aber nicht im wasser, sondern eben in der zeitung, im lesen. das hast du da sichtbar/fühlbar gemacht.
schon wieder: wunderbar! und bleibt – wie die anderen – im kopf- und im gefühlsgedächtnis.
liebe grüße, andrea
Danke für deine ausführlichen Gedanken zum Text von Tucholsky und zu meinem Foto, Andrea.
So ein positives „Echo“ ist immer höchst spannend zu hören.
Und solche schönen Rückmeldungen sind mit der Grund, weshalb ich nach wie vor mit Begeisterung Blogeinträge gestalte und einstelle. :–)
In diesem Sinne auf einen weiteren gegenseitigen Austausch!
Lieben Gruss,
Es braucht stets ein achtsames Abwägen, wieviel aktuelle Nachrichten der Seele guttun oder verkraftbar sind.
Der Himmel ist zwar nicht blau, die Stimmung drückend, den Adventssonntag an der Wärme und Frieden zu verbringen aber beglückend und Dankbarkeit auslösend.
Einen herzlichen Gruss!
Das denke ich auch, Valentina.
Es liegt in unserem Ermessen, was und wie viel wir vom Medienrummel an uns herankommen lassen.
Lieben Dank.
Hab einen gemütlichen 2. Adventssonntag und sei lieb gegrüsst!
Liebe Brigitte,
so neu ist doch nicht alles, von dem wir gerne glauben, es sei ein Problem unserer Zeit.
Ich versuche auch, mich weniger mit der Welt zu befassen, wenn es auch nicht gänzlich gelingt, auch weil ich noch nicht so weit bin. Und so manche Nachricht kann ich auch nicht ignorieren, weil sie einfach durchschlägt, wie etwa Energiepreise.
Aber besser fühle ich mich schon, wenn ich mehr Zeit mit guten Büchern verbringe oder mit mir selbst.
Ich wünsche Dir einen wundervollen Sonntag.
Viele liebe Grüße
Wolfgang
Genau, Wolfgang, alles können und wollen wir nicht herausfiltern aus diesem riesiegen Nachrichtenpool.
So ganz ohne Wissen, was in der Welt passiert, wären wir doch auch ziemlich orientierungslos.
Aber dosieren kann man schon – und Prioritäten setzen, wie du sie vorschlägst.
Lieben Dank und Retourgruss zu dir.
Und wieder ein Fall von Gradwanderung:
Worüber möchte ich mich wie informieren, was muss, will ich wissen, worüber mir Gedanken machen?
Und dann: Welche Konsequenzen hat es für mein Tun?
Das untere Bild erinnert mich an einen Seidenschal, den ich mal hatte, ebenfalls mit Zeitungsartikeln – leider auf Italienisch 😉
Lichtvolle Morgengrüße schicke ich dir
So ist es, Mona Lisa.
Wir müssen und dürfen selber abwägen, was uns zuträglich ist von dieser steten Informationsflut.
Den Seidenschal mit Zeitungstiteln stelle ich mir interessant vor.
Und deine lichtvollen Morgengrüsse erwidere ich, wenn auch mit etwas trübem Dezembermorgennebelgrau.
manchmal raschle ich mich gerne mit einer zeitung durch den tag 😉
in einem café kann sie sogar alibi sein, um leute zu beobachten…
der name „grillruhm“ ist inspiration 🙂
einen frohen zweiten adventssonntag dir/euch und glg.
Stimmt, Merlin. Einiges spricht halt doch für die guten alten Gazetten. :–)
Viel nettes Geraschel und brauchbare Inspiration wünsche ich dir in den nebelverhangenen Dezembersonntag. 🙂
Herzlichen Gruss.
Heute hatte ich auch einen ruhigen Morgen….ich habe ihn verschlafen…
Manchmal tut es gut, der Welt den Rücken zu kehren.
Heitere Grüsse ins graue heute
Britta
Ausschlafen und die Welt Welt sein lassen tut auch mal gut, Britta. :–)
Ebenfalls heitere Grüsse in den grauen Tag.
All die unterschiedlichen Kommentare über deinen tollen Beitrag zu lesen war ein Genuss. Ein lieber Gruß Ernst
Das freut mich sehr, Ernst.
Herzlichen Dank und liebe Grüsse zu dir.
Gut so, das nenne ich ein feines Zeitmanagement!
Ich wollte meinen Tag auch nicht so belastend anfangen, da sind mir die Vögel auch deutlich lieber. Den Rest erfährt man dann von denen, die ihre andere Morgenlektüre hatten noch früh genug.
Liebe Grüße,
Syntaxia
Ja, genau: Irgendwie kommt man immer zu den Informationen, es darf gern auch etwas später sein. :–)
Liebe Grüsse zu dir.
Und nach dem,
liebe Frau Quer,
Durchblättern, Überfliegen und z.T. auch Lesen werden die Zeitungen gesammelt, gebündelt und abholbereit an den Strassenrand gestellt…
Die drei Bilder sind Klasse!
Eben zurück von einem Spaziergang auf dem Hügel schicke ich einen lieben Gruss in den Abend des 2.Advents
Hausfrau Hanna (die immer noch Zeitung liest)
Hier weden sie nicht mehr abgeholt, liebe Hausfrau Hanna.
Im Dorf gibt es einen Werkhof, wo man fast alle recyclierbaren Stoffe abgeben kann, auch Zeitungen.
Die eine oder andere Zeitung lesen wir auch nach wie vor – und dann kommen ja auch noch die Gratiszeitungen ins Haus…
Für einen Spaziergang konnte ich mich heute nicht aufraffen. Zu nasskalt und windig war es. Brrr!
Ihne einen erholsamen und gemütlichen Adventsabend!
Und einen lieben Gruss.
Dieser hübsche, zeitungslesende Mann könnte der Kleidung nach ein Elder sein. Bei uns durften sie nur montags ins Internet (Wegen Abgelenktsein, und Abstand und so..)
Dann lasen sie Zeitung. (: Und dann ist das Foto bestimmt nicht von einem Montag.
Lieber Schmunzelgruß (;👒
Gundel
Unter einem Elder kann ich mir nichts vorstellen, Gundel.
Dieser nobel gekleidete Mann könnte meines Erachtens ein Banker, ein Versicherungsvertreter oder ein Autoverkäufer sein… :–)
Wie auch immer. Er liest noch Zeitung.
Einen abendlichen Schmunzelgruss zurück zu dir.
Abwägen – das ist auch meine Devise geworden.
Wir legen so viel Wert auf unsere Körperhygiene. Doch wie intensiv duschen wir unsere Seele?
In Textauswahl und Bild brilliant, liebe Brigitte.
Einen herzlichen Gruß,
Anna-Lena
Abwägen, so gut es geht. So halte ich es in Sachen Medien auch. :–)
Schönen Dank, Anna-Lena.
Und einen lieben Abendgruss.
liebe brigitte, wunderbar aussagekräftige fotos zu texten eines von mir geliebten dichters und satirikers: du hast mir schon tagelang freude beschert, und nachdenken über kurts texte. diese idee mit ihnen im advent ist sehr schön. danke dafür, es trägt mich mit über holprige gedanken, alles geht weiter, nichts geht verloren.
herzliche grüsse, roswitha
Wenn ich mit den Tucholsky-Texten so viel Freude auslösen kann, freut mich das ungemein, liebe Roswitha. Ich wusste nicht, ob es so sein würde…
Und auch dir ein Dankeschön für deine schönen Zeilen das Motto: Alles geht weiter, nichts geht verloren.
Das ist eine wohltuende, sehr beruhigende Einsicht.
Einen herzlichen Retourgruss an dich.
Alles mal abschalten und keineswegs von Sinnen sein, sondern bei sich wie nie. Ein wunderbares Unterfangen, das man sich einige Male am Tag schenken kann…
Gruß von Sonja
Das ist wunderschön zusammengefasst, liebe Sonja.
Ja, das sollte man sich immer mal weider gönnen – in der Weihnachtszeit ganz besonders.
Lieben Dank und Gruss zu dir.
ein wunderbarer text, der mich sehr anspricht. oft tue ich es dem herrn grillruhm gleich und schaue endlos den vögeln beim futterhaus zu, sehe gerade den schnee langsam, langsam herunterrieseln, wärme mir die hände an einer heißen tasse tee und freue mich auf den tag.
ab und zu muss ich mich dann aber doch dem weltgeschehen stellen, aber nicht täglich, nicht immer, nicht erschöpfend.
winterliche grüße
mano
Das ist überhaupt die Lösung, liebe Mano.
Sich über die schönen Dinge freuen und nur sporadisch mit dem oft tristen Weltgeschehen auseinandersetzen. Das finde ich gut und vor allem zuträglich.
Lieben Dank und Gruss zu dir.
Nachrichten sind Gift für unsere Körper: sie aktivieren permanent unser limbisches Gehirn, lassen unsere Körper Cortisol ausschütten und stören dadurch unser Immunsystem.
Da ist etwas dran, Manuela, auch wenn ich es nicht so drastisch formuliern würde.
Schlechte Nachrichten haben ganz sicher einen Einfluss auf unser Gesamtbefinden.
Danke für deinen Besuch und liebe Grüsse.
Hin und wieder mal zurücktreten – Abstand nehmen – das tut auf jeden Fall gut. Es entgeht einem viel weniger als man weithin meint.
liebe Grüße von Ellen
Ja, das denke ich auch.
Ein liebes Dankeschön, Ellen, und frohen Abendgruss.
In der Tat erfahren wir heute viel zu viel Unnützes.
„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß…“
Aber soll man sich verschließen vor alledem, was da in der Welt passiert?
Abwägen ist wohl die Devise.
Ganz auf die Tagesnachrichten möchte ich jedenfalls nicht verzichten.