Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs: Pan
Detail auf einem Wandfries „Bacchanalia“ des Jugendstilbildhauers A Meyer im Jahre 1900 am Seefeldquai in Zürich

 

5

 

 

Märchen

Es war einmal ein Kaiser, der über ein unermeßlich großes, reiches und schönes Land herrschte. Und er besaß wie jeder andere Kaiser auch eine Schatzkammer, in der inmitten all der glänzenden und glitzernden Juwelen auch eine Flöte lag. Das war aber ein merkwürdiges Instrument. Wenn man nämlich durch eins der vier Löcher in die Flöte hineinsah – oh! was gab es da alles zu sehen! Da war eine Landschaft darin, klein, aber voll Leben: Eine Thomasche Landschaft mit Böcklinschen Wolken und Leistikowschen Seen. Rezniceksche Dämchen rümpften die Nasen über Zillesche Gestalten, und eine Bauerndirne Meuniers trug einen Arm voll Blumen Orliks – kurz, die ganze moderne Richtung war in der Flöte.

Und was machte der Kaiser damit? Er pfiff drauf.

 

 

Kurt Tucholsky

 

Dieser Beitrag wurde unter Bilder, Texte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

31 Antworten auf Advent mit Tucholsky

  1. merlin sagt:

    da kommt mir das buch von svend brinkmann in den sinn: pfeif drauf – schluss mit dem selbstoptimierungswahn (2018 erschienen).
    es geht darum, wie man sich von den ständig wachsenden ansprüchen der gesellschaft lösen kann. auch mit humor geschrieben.
    einen guten wochenstart, mit einem fuder adventsgelassenheit, wünsche ich dir! glg.

  2. Quer sagt:

    Ja, das passt. Selbstoptimierung muss auch irgendwann zu einem Ergebnis kommen, sonst macht man sich nur unglücklich.
    Aber ich denke, ab einem gewissen Alter relativiert sich das von selbst. :–)
    Das Fuder Adventsgelassenheit nehme ich mit Freude an, Merlin. Dankeschön!
    Und auch dir einen entspannten und humorvollen Wochenbeginn!
    Lieben Gruss.

  3. mona lisa sagt:

    Interessant, diese Doppeldeutigkeit 😉
    Ich z.B. pfeife auf Advents- und Weihnachtsrummel, dennoch gibt’s auch bei mir ein wenig entsprechende Deko.
    Wünsche dir einen friedvollen Wochenbeginn, auf dass du auf nichts pfeifen musst.

  4. Quer sagt:

    Etwas hin- und hergerissen sind wir in dieser Frage doch alle.
    Der Weihnachtsgedanke ist eben doch zu schön und wichtig, um ihn ganz über Bord zu werfen, nur weil manche dermassen übertreiben mit Kitsch und Konsum…
    Einen angenehmen Wochenbeginn auch dir.
    Und lass uns auf das pfeifen, was uns nervt oder rein gar nicht interessiert!

  5. Valentina sagt:

    Da kommt mir das erfrischende Bläserstück der bayerischen Gruppe „Haindling“ in den Sinn, welches den Titel „Pfeif drauf“ trägt.
    So lass uns heute auf alles pfeifen, das sich belastend und unwichtig anfühlt.

    Mit einem herzlichen Gruss in die neue Woche!

  6. Quer sagt:

    Genau das habe ich auch vor, Valentina.
    Tun wir das doch zusammen mit einem richtig guten Gefühl!
    Und danke auch für den Musik-Hinweis. :–)

    Dir eine gute Woche und herzlichen Gruss.

  7. mano sagt:

    ich pfeif dann mal auf jubel, trubel, heiterkeit und freu mich an der winterlandschaft und an meinem gänzlich ungeschmückten adventskranz!
    lieben gruß von mano

  8. Quer sagt:

    Das hört sich prima an.
    Daran beteilige ich mich auch. :–)

    Geniess euern ersten Schnee, Mano, und sei herzlich gegrüsst!

  9. Gerhard sagt:

    Gepfiffen wird auf manches was anderen heilig ist.
    Dichtung, Kunst und auch intakte Natur sind nicht allgemein von Interesse.

    Liebe Grüsse
    Gerhard

  10. Andrea sagt:

    um einordnen zu können, wovon tucholsky da spricht, müsste ich eine ahnung von malerei, bzw. von der malerei seiner zeit haben. hab ich aber nicht, nur bilder von zille kenne ich. was aber deutlich wird: tucholsky pfeift auf die moderne malerei. ob er das so meint, dass er sich nicht drum schert, was nun wie und warum modern ist, sondern dass er lieber auf dieser flöte spielt, also das genießt, was er damit anfangen kann? (was durchaus zu dem mann passt, der ja auch – in seinem fall die natur – genießen will, statt zeitung zu lesen.)

    ich denke ja, dass beides möglich sein sollte/müsste. auch weil die beiden zugänge einander ja auch befruchten. aber vielleicht verstehe ich ddieses kleine märchen eh falsch. ich weiß ja auch zu wenig über tucholsky. 😉

    liebe grüße, andrea

    • Quer sagt:

      Da bin ich mir nicht so sicher, Andrea, ob Tucholsky im Märchen seinen eigenen Kunstgeschmack beschreibt, oder ob er nicht vielmehr die Kunstbanausen seiner Zeit anprangert… (Vielleicht auch einen ganz bestimmten, den er als „Kaiser“ auftreten lässt.)

      Wie auch immer: Sein Märchen regt zum Nachdenken an und das war damals und ist heute eine gute Anregung.

      Einen lieben Mittagsgruss zu dir.

  11. Andrea sagt:

    ps: passt bissl zu meinen überlegungen, nämlich wie sich das verstehen (also die ratio) mit dem kunstgenuss verbindet, manchmal sogar (fast) voraussetzung ist:
    ich habe gestern eine sehr, sehr gute und informative sendung über gerhard rühm gehört:
    https://oe1.orf.at/player/20221204/701504
    wenn wer zeit hat: das ist eine anhör-empfehlung! 🙂

    nochmal: liebe grüße!

  12. Quer sagt:

    Danke für diesen passenden Hinweis auf den unvergleichlichen Gerhard Rühm, der mir als Lyrikerin natürlich bekannt ist..
    Die Kurzbeschreibung habe ich bereits gelesen, den Abspieler werde ich mir in einer ruhigen Stunde auch zu Gemüte führen.

    Auch von mir nochmals liebe Grüsse.

  13. seelenruhig sagt:

    Ach den Gruß – den wollt ich noch mitschicken!!

  14. Quer sagt:

    Den denke ich doch immer dazu, Ellen.
    Sei auch lieb gegrüsst!

  15. Britta sagt:

    Tucholsky und sein Scharfsinn – er war so ein guter Beobachter! Beim Lesen dieser Geschichte wird einem einmal mehr bewusst, dass gut und böse eben nicht so einfach zuzuordnen sind wie im Märchen. Mal sind wir Teil der Flöte und mal pfeifen wir drauf rum…
    Heitere Grüsse Britta

    • Quer sagt:

      Oh ja, das siehst du ganz richtig, Britta.
      So schwarz-weiss wie im Märchen sind für uns die wenigsten Herausforderungen. :–)
      Einen lieben Abendgruss zu dir.

  16. bruni8wortbehagen sagt:

    *lach*, das passte soooo gut zu ihm, dem dichtenden, schreibenden, denkenden menschlichen Menschen, dem Herrn Tucholsky

  17. Quer sagt:

    Darin stimme ich mit dir überein, Bruni.
    Er war ein echtes Multitalent, wie man an den verschiedenen Beiträgen unschwer erkennen kann. Und Humor hatte er auch. :–)
    Sei lieb gegrüsst!

  18. C Stern sagt:

    Es scheint mir fast, als sei das nach materiellem Werte einfachste „Ding“, die Flöte, zugleich jener Schatz, der am meisten zu faszinieren vermochte.

    Da stelle ich eine Verbindung zu Geschenken her: Ich bin schon sehr lange der Meinung, dass es leicht ist, mit reichlich Geld „tolle“ Geschenke zu kaufen. Doch seltsam, immer öfter höre und lese ich, dass diese Geschenke nicht lange begeistern, oft werden sie schnell zur Seite gelegt. Vielleicht enthalten sie einfach zu wenig Liebe, mit der diese Geschenke rasch ausgewählt wurden?
    Es war nie in meinem Sinne, materiell großzügige Geschenke zu erhalten, viel wichtiger war mir die Liebe, die in kleinen Dingen steckte. Das ist bis heute so geblieben … Und genau in diesem Sinne bevorzuge ich liebevoll gemeinte Dinge – und vor allem in diesem Winter weiß ich warme selbstgestrickte Socken ganz besonders zu schätzen …
    Ganz liebe Grüße, C Stern

  19. Quer sagt:

    Das sehe ich auch so, C Stern.
    Kleine, liebevoll ausgesuchte Aufmerksamkeiten können wertvoller sein als teure Anschaffungen. Schenken hat nur bedingt mit materiellem Wert zu tun.
    Ich denke, es liegt an uns, wie wir das mit unseren Liebsten „regeln“. (Man kann auch ganz auf Geschenke verzichten – zumindest unter den Erwachsenen – und dennoch frohe Festtage verbringen.)
    Danke für deine Zeilen und einen lieben Abendgruss.

  20. Anna-Lena sagt:

    🙂 Danke für den Lacher am Abend 🙂 .
    Text und Bild sind wieder ein Genuss!

    Liebe Grüße zum Nikolausvorabend,
    Anna-Lena

  21. Quer sagt:

    Das freut mich.
    Dir einen schönen Nikolaustag und lieben Gruss.

  22. Lothar Lange sagt:

    Zilles „Milljöh“-Figuren sind die, die ich sofort vor mir sah, die anderen Künstler kenne ich (noch) nicht, schaue aber gleich gern einmal nach, es könnte zu schade sein, darauf zu pfeifen, sie kennenzulernen.
    Pfiffige Grüße!
    Lo

    • Lothar Lange sagt:

      Gut, nicht darauf gepfiffen zu haben: habe mir von Tante Gugel die genannten Künstler mit ihren Werken zeigen lassen.
      Die Reznicekschen Dämchen kamen mir dabei vertraut vor. Sie habe ich schon anderweitig wahrgenommen.
      Dankeschön an Dich und Herrn Tucholsky für den kleinen Exkurs.
      Lo

  23. Quer sagt:

    Es lohnt sich, nicht wahr! :–)
    Ich bin beeindruckt, dass du dir die Mühe gemacht hast.
    Leistokow und Böcklin waren doch grossartige Künstler.
    Merci gleichfalls und herzliche Grüsse.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert