Archiv der Kategorie: Gedichte

Übersetz mir den Rosenduft….

Fotos Brigitte Fuchs

 

Lied

für die junge Freundin

 

Übersetz mir den Rosenduft
in etwas, was uns noch mehr
gehört….: dass in der Luft
zwischen uns ein ihm Gleiches wär,
selig wie er!

Selig wie er? Ist er denn selig auch?
Ach, oft so schwer….
Dieser Sommerhauch,
wo kommt er her?
Kommt er wirklich vom Rosenbeet,
oder ist er Erinnerung?
Macht er alt oder jung,
wenn er vergeht?

(…)

 

Rainer Maria Rilke (1875-1926) Lyriker deutscher Sprache
Erste zwei Strophen des Gedichtes „Lied – für die junge Freundin“

 

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Die kommenden Tage

 

Es weht ein Gespinst um die Brunnen der Nacht,
Drin flattern die Wünsche des Lebens,
Die einen so glühend, die andern so sacht
Im Dunkel erwacht –
Die Nornen sie wirken’s und weben’s.

 

 

Versunken in brütenden Gründen, was war,
Was sein wird, entbrodelnd den Tiefen –
Es steigen die Stunden, es jüngt sich das Jahr,
Aufschimmert die Schar
Der Tage, die schattenhaft schliefen.

 

 

Nun schlürfen sie Blut an den Brüsten der Zeit,
Schon wiehert das Kampfroß der Frühe,
Der Hahn schlägt weitaus die Flügel und schreit
In die Ewigkeit,
Und Flut rauscht aufs Mühlrad der Mühe.

 

 

Karl Henckell (1864-1929) deutscher Lyriker und Schriftsteller

 

Alle Fotos Brigitte Fuchs: Freilichtmuseum Ballenberg

 

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In der Stille

Foto Brigitte Fuchs: Braunelle

 

Wieviel Schönes ist auf Erden
Unscheinbar verstreut;
Möcht ich immer mehr des inne werden:
Wieviel Schönheit, die den Taglärm scheut,
In bescheidnen alt und jungen Herzen!
Ist es auch ein Duft von Blumen nur,
Macht es holder doch der Erde Flur,
wie ein Lächeln unter vielen Schmerzen.

 

 

Christian Morgenstern (1871-1914) deutscher Dichter und Schriftsteller

 

Foto Brigitte Fuchs

 

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Stets sind Gespräche im Wald

Fotos Brigitte Fuchs

 

Stets sind Gespräche im Wald:
Bald winkt dir ein Blatt,
Das dir etwas zu deuten hat.
Bald sitzt ein Käfer an deinem Ärmel und blinkt.
Sein Flügelein blitzt wie ein Liebesgedanke,
Der augenblicklich wieder versinkt.
Die Mücke singend ums Ohr dir schwebt,
Wie Sehnsucht, die vom Blute lebt
Und dir von deinen Poren trinkt.
Wo der Wald sich lichtet,
Steht ungeschlachten Scheitholz geschichtet,
Weht Rindengeruch, der von Bränden dichtet.
Bleibt in den Kleidern dir lang noch hocken,
Als will es dich in ein Feuer locken.

 

Max Dauthendey (1867-1920) deutscher Schriftsteller und Lyriker

 

Fotos Brigitte Fuchs

 

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Kornblumen

Foto Brigitte Fuchs

 

 

In der Saat viel blaue Sterne
Stehn wir leuchtend fern und nah.
Laßt uns blühn und seht uns gerne,
Denn wir sind nun einmal da!

Die uns sonst nicht leiden mochten
Unterm Korn, die schimmernd blaun:
In den Erntekranz geflochten
Mögen sie doch gern uns schaun.

Zu dem Ernst nutzreicher Ähren
Fügen wir, was heiter glänzt:
Freude will Natur euch lehren,
Und sie bringt das Brot bekränzt.

 

Johannes Trojan (1837-1915) deutscher Redaktor, Schriftsteller und Kinderbuchautor

 

Foto Brigitte Fuchs

 

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Ausgleich

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Wie des Sees Silberspiegel

Leis bei halbbedecktem Himmel

Jene mattverhüllte Sonne

Schattenblinkend wiederscheint …

Zittert meine Seele sacht –

Schwebend zwischen Licht und Dunkel –

Und die Blendung ist gebrochen

Und die Finsternis versöhnt.

 

Karl Friedrich Henckell (1864-1929) deutscher Lyriker und Schriftsteller

 

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Das stille Örtchen

Fotos Brigitte Fuchs: Toiletten-Häuschen von Kompotoi mit Sägemehl (-spülung), Mikroorganismen und Biokohle,
gesehen im Raum Lenzburg

 

Immerfort

Das Sonnenstäubchen fern im Raume,
Das Tröpfchen, das im Grase blinkt,
Das dürre Blättchen, das vom Baume
Im Hauch des Windes niedersinkt –

Ein jedes wirkt an seinem Örtchen
Still weiter, wie es muss und mag,
Ja, selbst ein leises Flüsterwörtchen
Klingt fort bis an den jüngsten Tag.

 

 

Wilhelm Busch (1832-1908) deutscher Dichter, Maler und Zeichner
Aus „Schein und Sein“

 

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Das Spiegelbild

Foto Brigitte Fuchs: Plakat einer Theateraufführung mit der inzwischen
verstorbenen Schauspielerin Doris Schade

 

 

Schaust du mich an aus dem Kristall
Mit deiner Augen Nebelball,
Kometen gleich, die im Verbleichen;
Mit Zügen, worin wunderlich
Zwei Seelen wie Spione sich
Umschleichen, ja, dann flüstre ich:
Phantom, du bist nicht meinesgleichen!

Bist nur entschlüpft der Träume Hut,
Zu eisen mir das warme Blut,
Die dunkle Locke mir zu blassen;
Und dennoch, dämmerndes Gesicht,
Drin seltsam spielt ein Doppellicht,
Trätest du vor, ich weiss es nicht,
Würd‘ ich dich lieben oder hassen?

 

(…)

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) deutsche Dichterin und Komponistin
Erste zwei von sechs Strophen des Gedichtes „Das Spiegelbild“

 

 

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Die grüne Stube

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Gern ich ein Julifeld mir küre
Als grüne Stube ohne Türe.
Bin Hausherr dort, bin nicht allein,
Es ziehen tausend Mieter ein:
Die Hummel, die wie’s Feuer summt,
Die Grille, die niemals verstummt,
Die Krähe, die nach Regen schreit,
Der Himmel und die Ewigkeit.
Ich sitz’ im grünen Staatsgemach
Und denk’ der kleinsten Ameis’ nach,
Und meine Möbel und Gardinen
Sie haben stündlich neue Mienen.
Heut sind sie grau und morgen heiter,
Das Muster webt von selber weiter.

(…)

 

Max Dauthendey (1867-1918) deutscher Dichter und Maler
Die erste Hälfte seines Gedichts „Die grüne Stube“ aus seinem „Singsangbuch“

 

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Sommermittag

Foto Brigitte Fuchs

 

Nun ist es still um Hof und Scheuer,
Und in der Mühle ruht der Stein;
Der Birnenbaum mit blanken Blättern
Steht regungslos im Sonnenschein.

Die Bienen summen so verschlafen;
Und in der offnen Bodenluk‘,
Benebelt von dem Duft des Heues,
Im grauen Röcklein nickt der Puk.

Der Müller schnarcht und das Gesinde,
Und nur die Tochter wacht im Haus;
Die lachet still und zieht sich heimlich
Fürsichtig die Pantoffeln aus.

Sie geht und weckt den Müllerburschen,
Der kaum den schweren Augen traut:
»Nun küsse mich, verliebter Junge;
Doch sauber, sauber! nicht zu laut.«

 

 

Theodor Storm (1817-1888) deutscher Schriftsteller, Novellist und Lyriker

 

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