Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

 

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Meditation, zum Coupéfenster hinaus

 

Wie die langen Telegrafenstangen
jene schwarzen, dünnen Drähte, die
grad sich zu erheben angefangen,
immer wieder niedergehen, wie

diese dunkeln regelmäßigen Stäbe,
die das Auf und Ab und Auf und Ab
stetig kontrollierend in der Schwebe
halten –:
also von der Wiege bis zum Grab

drückt auch dich, o Mensch, bei allem Streben
(seist du Amme, Kanzler, Redakteur),
drückt auch dich, o Mensch, im ganzen Leben,
nieder, nieder, nieder –
das Malheur.

 

Kurt Tucholsky

 

 

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28 Antworten auf Advent mit Tucholsky

  1. Eva sagt:

    Er sah mehr als andere.

    Liebe Grüße von Eva, es ist plötzlich schrecklich kalt bei mir …

    • Quer sagt:

      Wahrscheinlich schon.

      Oh, du Arme! Hier ist es schon ungemütlich kalt. Wie muss es dann erst bei dir im Norden sein…
      Pack dich warm ein, liebe Eva! Und sei wärmstens gegrüsst!

  2. merlin sagt:

    da hoffen wir doch, wenn das malheur sich eingestellt hat,
    bald wieder auf ein bisschen bonheur…
    meilleurs salutations et une bonne journée 🙂

  3. Quer sagt:

    Das hoffen wir inständig und immer!
    Allors, à la bonheur, monsieur!
    Bonne journée et au revoir!

  4. seelenruhig sagt:

    Auf deinem Foto hängen die Seile ja sehr straff und gehen nicht gleich nieder. Toll finde ich, wie er diese Seile beschreibt. Man sieht sich im Zug sitzen und es geht auf und ab….
    Für heute: bonheur statt malheur!
    liebe Grüße von Ellen

  5. Quer sagt:

    Ich finde das Gedicht auch toll, Ellen.
    Es schwingt beim Lesen melodisch richtig auf und ab, wie man es im Zug sitzend beobachten kann – wunderbar!
    Dir auch einen Tag ohne jedes Malheur!
    Sei lieb gegrüsst!

  6. C Stern sagt:

    Bei mir hat sich gleich ein bisschen Fantasie eingefügt:
    Mit etwas Schnee an den „Armen“, könnte der Strommast als modernes, reduziertes Weihnachtsbäumchen beschrieben werden. Und wenn die Schneemassen zu reichlich ausfallen, dann kann tatsächlich ein Malheur passieren …
    Liebe Grüße in den Vormittag,
    C Stern

  7. Quer sagt:

    Genau, C Stern, der Mast könnte als grossgeratener Weihnachtsbaum durchgehen… :–)
    Ein Lächeln und liebe Grüsse zu dir.

  8. Britta sagt:

    Aus dem Zugfenster zu schauen hat wirklich was meditatives. Das tun wir heute viel zu selten.
    Hab einen schönen Tag, ganz ohne Malheur!
    Heitere Grüsse und warme Füße
    Britta

  9. Quer sagt:

    Ja, das stimmt.
    Wer fährt heutzutage noch so richtig entspannt und aufnahmefähig im Zug…?

    Dir auch einen harmlosen Tag mit warmen Füssen und freudigem Sein!

  10. Sylvia sagt:

    und dann schwingts wieder rauf, daran
    will ich mich mal halten;-).
    toll, wie er das beschreibt, was er
    beim blick aus dem coupéfenster
    sieht und es mit innerem verbindet.
    und deine fotos dazu – wie immer –
    so klasse, auch der header!
    liebe grüße in den tag (der hier leider grau, nieselig und verhangen ist)
    Sylvia

    • Quer sagt:

      Lieben Dank, Sylvia.
      Ja, was nach unten schwingt, muss auch wieder nach oben schwingen.
      Das lässt uns hoffen und vertrauen.
      Hab trotz des Niesels einen guten Tag!
      Hier müht sich die Sonne durch das Gewölk.
      Herzlichen Gruss.

  11. Roswitha sagt:

    wunderbar wie er diese optik der reisenden beschreibt, die du so passend bebildert hast! leider mahnte er nur vor dem niederdrücken, so ist es immer: es kommt auf die innere verfassung an beim schauen. (hätte er mit lotte geplaudert, wäre der text etwas anders.) herzlichen gruß von roswitha

  12. Quer sagt:

    Genau, Roswitha, so, wie wir gestimmt sind, nehmen wir auch die Umgebung wahr, mal eher betrübt, mal recht zuversichtlich.
    Bei ihm war das gewiss auch so.
    Sei ebenfalls herzlich gegrüsst!

  13. Sonja sagt:

    Abgesehen vom grand malheur: alles gut.
    Gruß von Sonja

  14. Quer sagt:

    Genau.
    Lieben Gruss zurück.

  15. Gerhard sagt:

    Malheure gibt es viele im Leben
    die einen niederdrücken,
    niederdrücken können
    wenn man ihnen zuviel Gewicht beigibt!
    Doch manchmal kann man nicht umhin
    als sie zu bemerken
    weil es kratzt
    weil es schmerzt
    weil es einen von oben nach unten stellt.

    Liebe Grüsse
    Gerhard

    • Quer sagt:

      Ja, so ist das, Gerhard.
      Nicht alles, was uns niederdrückt, können wir einfach ignorieren.
      Das Schwere (manchmal Allzuschwere) gehört leider auch zum Leben.

      Einen lieben Gruss.

  16. Ernst sagt:

    Ein toller Text zum Bild, liebe Brigitte. Ja, zugfahren hat was, ein auf und ein ab, wie im richtigen Leben. Liebe Grüsse Ernst

  17. Hausfrau Hanna sagt:

    Wie gross,
    liebe Frau Quer,
    das Amt auch ist: Jeder Mensch erlebt Malheur.
    Mich spricht diese Meditation sehr an, die Tucholsky wohl nach einer seiner Zugfahrten durch Schweden niedergeschrieben hat!

    Lieben Gruss in den leicht nebligen Abend
    Hausfrau Hanna

  18. Quer sagt:

    Ja, das Schicksal trifft alle, ob jung oder alt, reich oder arm, berühmt oder unbedeutend.
    Das mit Schweden könnte ich mir gut vorstellen, werte Hausfrau Hanna.
    Der obige Text stammt allerdings aus dem Jahre 1914, was bedeutet, dass Tucholsky wohl noch in Deutschland wohnte. Aber vielleicht war er ja schon damals gelegentlich in Schweden unterwegs…

    Einen lieben Gruss in den Abend hinein, der hier ausnahmsweise mal klar begann.

  19. bruni8wortbehagen sagt:

    Das Auf und Ab der langen Telegrafenstangen…
    Tja, so ähnlich ist das, was uns im Leben widerfährt. Mal Auf, mal ab, wie bei einer Berg- und Talbahn. Langweilig wird es uns eigentlich nie…
    Mal haben wir ein Malheur überwunden, denken, nun kann nichts mehr passieren, schon kommt das nächste angeschlichen.

  20. Quer sagt:

    Genau so ist es, Bruni: ein ständiges Auf und Ab.

    Dir einen schönen Dezemberabend und liebe Grüsse.

  21. Anna-Lena sagt:

    Ich bin auch eine leidenschaftliche Zugfahrerin. Erstaunlich, worüber man so alles meditieren kann. Allein die Wolkenformationen auf dem Bild laden mich schon ein.
    Ein sehr schönes Gedicht, liebe Brigitte.

    Liebe Grüße aus dem nasskalten Brandenburg,
    Anna-Lena

  22. Quer sagt:

    Dann passt das ja besonders gut für dich.
    Ich selber fahre nur selten mit dem Zug. Aber die Szenerie konnte ich mir dennoch sofort vor Augen führen, da ich sie ganauso schon erlebt habe. :–)

    Einen lieben Gutenachtgruss zu dir.
    Vielleicht wird es morgen nass (oder gar weiss) bei uns.

  23. Lothar Lange sagt:

    Diese Beobachtung des Auf und Ab der Telegrafendrähte beim Zugfahren habe ich auch noch in Erinnerung. Tucholsky hat das wunderbar abgeleitet.
    Eine wunderbare Idee, Dein Adventkalender mit ihm.
    Anlass für mich, einmal wieder seine Werke zu lesen.
    🙂

  24. Quer sagt:

    Das freut mich enorm, dass Tucholsky bei dir und vielen Anderen so gut ankommt. (Ich selber habe ihn durch diese Textauswahl auch besser kennen gelernt.)
    Ja, er war ein exzellenter Beobachter und verstand es hervorragend, seine „Erkenntnisse“ in passende Texte zu transferieren.
    Es macht Freude, ihn wieder oder neu zu lesen.

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