Archiv der Kategorie: Gedichte
Am Opferherd
Foto Brigitte Fuchs
Komm an mein Feuer, mein Weib,
es ist kalt in der Welt.
Komm an mein Feuer und lege
dein Ohr an mein Herz.
Komm an mein Feuer und mache aus meinen Händen
eine leuchtende Schale für die Wärme
die wir – o wir, mein Weib – verschwenden
an die Welt …
Richard Dehmel (1863-1920) deutscher Schriftsteller und Lyriker
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Frühlingsahnung

Foto Brigitte Fuchs
Nun steht daheim der Weissdornstrauch
In ersten Knospentrieben:
Und durch die Lüfte weht ein Hauch
Von leisem Lenz und Lieben.
Nun singt daheim im Abendrot
Die Amsel auf dem Flieder:
»Vergesst des Winters bange Not:
Bald büh’n die Veilchen wieder.«
Hier starrt noch ringsum Frost und Eis:
Und doch, mit Südlandstrieben,
Durch meine Seele wogt es leis,
Ganz leis, wie Lenz und Lieben.
Felix Dahn (1834-1912) deutscher Jurist, Schriftsteller und Historiker

Foto Brigitte Fuchs
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Winterlust

Fotos Brigitte Fuchs
Wohin man schaut, nur Schnee und Eis,
Der Himmel grau, die Erde weiss;
Hei, wie der Wind so lustig pfeift,
Hei, wie er in die Backen kneift!
Doch meint er`s mit den Leuten gut,
Erfrischt und stärkt, macht frohen Mut.
Ihr Stubenhocker schämet euch,
kommt nur heraus, tut es uns gleich.
Bei Wind und Schnee auf glatter Bahn,
Da hebt erst recht der Jubel an.
Robert Reinick (1805-1852) deutscher Maler und Dichter

Fotos Brigitte Fuchs: Schloss Hallwyl und Umgebung
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An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang
Foto Brigitte Fuchs
O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welch neue Welt bewegest du in mir?
Was ists, dass ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?
Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.
Bei hellen Augen glaub ich doch zu schwanken;
Ich schliesse sie, dass nicht der Traum entweiche.
Seh ich hinab in lichte Feenreiche?
Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
Zur Pforte meines Herzens hergeladen,
Die glänzend sich in diesem Busen baden,
Goldfarbgen Fischlein gleich im Gartenteiche?
(…)
Eduard Mörike (1804-1875) deutscher Dichter
Erste drei von sieben Strophen des gleichnamigen Gedichtes
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Schnee

Fotos Brigitte Fuchs
Es schneit
Der erste Schnee, weich und dicht,
Die ersten wirbelnden Flocken.
Die Kinder drängen ihr Gesicht
Ans Fenster und frohlocken.
Da wird nun das letzte bisschen Grün
Leise, leise begraben.
Aber die jungen Wangen glühn,
Sie wollen den Winter haben.
Schlittenfahrt und Schellenklang
Und Schneebälle um die Ohren!
– Kinderglück, wo bist du? Lang,
Lang verschneit und erfroren.
Fallen die Flocken weich und dicht,
Stehen wir wohl erschrocken,
Aber die Kleinen begreifens nicht,
Glänzen vor Glück und frohlocken.
Gustav Falke (1853-1916) deutscher Schriftsteller
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Schiff 1931
Foto Brigitte Fuchs: Dachverzierungen in München, fotografiert 2012
Wir haben keinen günstigen Wind.
Indem wir die Richtung verlieren,
Wissen wir doch, wo wir sind.
Aber wir frieren.
Und die darüber erhaben sind,
Die sollten nicht allzuviel lachen.
Denn sie werden nicht lachen, wenn sie blind
Eines Morgens erwachen.
Das Schiff, auf dem ich heute bin,
Treibt jetzt in die uferlose,
In die offene See. — Fragt ihr: „Wohin?“
Ich bin nur ein Matrose.
Joachim Ringelnatz (1883-1934) deutscher Dichter, Kabarettist und Seefahrer

Foto Fuchs
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Winter

Fotos Brigitte Fuchs: am Sempachersee
Wenn ungesehn und nun vorüber sind die Bilder
Der Jahreszeit, so kommt des Winters Dauer,
Das Feld ist leer, die Ansicht scheinet milder,
Und Stürme wehn umher und Regenschauer.
Als wie ein Ruhetag, so ist des Jahres Ende,
Wie einer Frage Ton, dass dieser sich vollende,
Alsdann erscheint des Frühlings neues Werden,
So glänzet die Natur mit ihrer Pracht auf Erden.
Friedrich Hölderlin (1770-1843) deutscher Dichter
Auszug aus seinem Langgedicht „Winter“
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Das Glück

Foto Brigitte Fuchs
Hat wer von Glück gesprochen?
Ist gar ein schönes Wort,
Dem Ohr ist es verklungen,
Dem Herzen hallt es fort.
Wie eine holde Sage,
Vom Glauben fromm geweiht,
So wie ein reizend Märchen
Aus längst vergangner Zeit.
Es weckt so süsse Ahnung
Wo es die Herzen traf,
Und wiegt auch grosse Kinder
Zuweilen noch in Schlaf.
Auguste Kurs (1815-1892) deutsche Lyrikerin und Schriftstellerin

Foto Brigitte Fuchs
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Simples Neujahrslied

Foto Brigitte Fuchs: Heiternplatz Zofingen
Vorüber ist das alte Jahr,
Ich wünsche Glück zum neun!
Was euch das alte noch nicht war,
Soll euch das neue sein.
Ich greife zu dem vollen Glas,
Und trink es aus und sag,
Ich wünsche jedem alles was
Er selbst sich wünschen mag.
Ich wünsch euch alles, was auch euch
Befriediget und reizt,
Und dass mit euern Wünschen sich
Der meinen keiner kreuzt!
So treten wir ins neue Jahr
Getrosten Mutes ein –
Und was im alten noch nicht war,
Erfülle sich im neun!
Ludwig Eichrodt (1827-1892) deutscher Jurist und Dichter

Foto Brigitte Fuchs: Heiternplatz Zofingen
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Silvester
Foto Brigitte Fuchs: Blick vom Homberg zu den Innerschweizer Bergen
Mein Fenster öffnet sich um Mitternacht,
Die Glocken dröhnen von den Türmen nieder,
Die Berge leuchten rings in Flammenpracht,
Und aus den dunklen Gassen hallen Lieder.
Will mir der Lärm, will mir der blut′ge Schein
Des nahen Völkerkriegs Erwachen deuten? –
Noch ist die Saat nicht reif. Die Glocken läuten
Dem neuen Jahr. – Wird es ein beßres sein?
Ein neues Jahr, in dem mit blassem Neid
Die Habsucht und die Niedertracht sich messen;
Ein neues Jahr, das nach Vernichtung schreit;
Ein neues Jahr, in dem die Welt vergessen,
Daß sie ein Altar dem lebend′gen Licht;
Ein neues Jahr, des dumpfe Truggewalten
Den Adlerflug des Geistes niederhalten;
Ein neues Jahr! – Ein beßres wird es nicht.
(…)
Frank Wedekind (1864-1918) deutscher Journalist, Dichter und Dramatiker
Erste zwei von elf Strophen seines Gedichtes „Silvester“
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