Adventskalenderfenster IXX

Foto Brigitte Fuchs

 

19

 

Wer von innen durch ein offenes Fenster blickt, sieht niemals so viel wie derjenige, der ein geschlossenes Fenster betrachtet. Nichts ist tiefer, geheimnisvoller, reicher, dunkler, strahlender, als ein Fenster von einer Kerze beschienen. Was man an der Sonne sehen kann, ist immer weniger interessant, als was hinter einer solchen Glasscheibe geschieht; in dieser schwarzen oder leuchtenden Öffnung lebt das Leben, träumt das Leben, leidet das Leben.

(…)

 

Charles Baudelaire (1821-1867) französischer Schriftsteller und Lyriker
Anfangszeilen aus seinem Text „Die Fenster“

 

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Adventskalenderfenster XVIII

Foto Brigitte Fuchs

 

18

 

Du siehst nicht wirklich in die Welt, wenn du nur durch dein eigenes Fenster siehst.

 

 

Weisheit aus der Ukraine

 

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Adventskalenderfenster XVII

Foto Brigitte Fuchs

 

17

 

Sie sitzt und schaut am Spiegel
Nur nach dem Mondenlicht,
Das rieselnd durch die Riegel
Des Faservorhangs bricht.

Als wie von Jadesplittern
Fliesst durch der Kammer Raum
Ein Glitzern und ein Zittern,
Und sie zieht, wie im Traum,

Anstatt ihr Haar zu kämmen,
Den Vorhang hoch empor,
Und Strahlen überschwemmen
Der Kammer offnes Tor.

Wie jetzt die Silberscheibe
Weiss leuchtend strahlt und blinkt;
Gleich einem Frauenleibe,
Von dem die Seide sinkt.

 

 

Tschan-Jo-Su (lebte im 19. Jahrhundert) Chinesischer Dichter

 

 

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Adventskalenderfenster XVI

Foto Brigitte Fuchs

 

16

 

Ich lehn‘ am Fenster, trüb‘ und still,
Hab‘ Vieles überdacht,
Die Dämm’rung schwand mir unbemerkt,
Es naht sich schon die Nacht.
Die Häusermassen liegen da,
Von Nebel grau umwebt,
Als wären sie verlassen all‘
Und gänzlich unbelebt.

Doch sieh! da blitzet fern ein Licht
Und wieder eins empor,
Bald glänzt aus allen Fenstern fast
Der helle Schein hervor.
Da weilen rings die Menschen nun
In Freude oder Schmerz,
Da regt sich manche fleiss’ge Hand,
Manch ungestümes Herz.

(…)

 

Auguste Kurs (1815-1892) deutsche Lyrikerin und Schriftstellerin
Zwei von vier Strophen ihres Gedichtes „Am Fenster“

 

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Adventskalenderfenster XV

Foto Brigitte Fuchs

 

15

 

Am Fenster steh ich. — Eine Ecke des Himmels,
Mattblau wie Seide,
Mit zarten, weissen, glänzenden Flocken
Hebt sich wie ein Baldachin
Über das Dunkel waldiger Berge.

Und wie von verborgenem Lichte
Breitet sich strahlende Helle,
Glänzig werden die Flocken,
Wie frischer Eierschaum,
Wie schillernde Opale.

Und ich ahne, die Sonne kommt,
Und schaue,
Bis mich ein Strahl trifft,
Ein siegender, leuchtender, warmer Strahl
Ich schaue und schaue …

Fern, weit fern
Fliegt unter dem Himmel ein Rabe,
Und mir ist,
Als hör ich sein höhnendes Krächzen.
Aber ich schaue und schaue
Und wart auf die Sonne. – –

Die schaumigen Flocken fliegen zusammen,
Es ballt sich ein grauer Haufen,
Und der graue Haufen
Verschüttet die blaue Seide …
Und —
Ich schaue und schaue
Und wart auf die Sonne …

 

 

Wilhelm Holzamer (1871-1907) deutscher Schriftsteller und Literaturrezensent
Gedicht mit dem Titel „Dezembermorgen“

 

 

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Adventskalenderfenster XIV

Foto Brigitte Fuchs

 

14

 

Rotes Auge glutet durch die Nacht:
Einsam Fenster, wo ein Mensch noch wacht.
Durch die dunkeln Eichen seh ichs glühen,
Welche Seele mag sich da noch mühen?

(…)

Schlummert alle, böse oder gut,
Wiege einmal, sanfte Friedensflut,
Alle armen, müden Menschenseelen,
Die sich wund im Kampf des Lebens quälen.

Jäh erlischt das rote Auge dort,
In den Eichen rauscht der Nachtwind fort,
Zwischen ihren schwanken, schwarzen Zweigen
Seh ich freundlich stille Sterne steigen.

 

 

Gustav Falke (1853-1916) deutscher Schriftsteller
1., 4. und 5. Strophe des fünfstrophigen Gedichtes „Das Fenster“ aus der Sammlung „Frohe Fracht“

 

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Adventskalenderfenster XIII

Foto Fuchs: Ein Strassenzug in Manchester (das Foto ist vor ein paar Jahren entstanden).

 

13

 

Wenn der liebe Gott sich im Himmel langweilt, dann öffnet er das Fenster und betrachtet die Boulevards von Paris.

 

(Oder die von Manchester – Anmerkung der Redaktion)

 

 

Heinrich Heine (1797-1856) deutscher Dichter und Schriftsteller

 

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Adventskalenderfenster XII

Foto Brigitte Fuchs

 

12

 

Immer machten einige gute Menschen zusammen ein warmes Stübchen aus, auch ohne Ofen, Dach und Fenster.

 

 

Gottfried Keller (1819-1890) Schweizer Schriftsteller, Dichter und Politiker

 

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Adventskalenderfenster XI

Foto Brigitte Fuchs

 

 

11

 

In der Provinz ersetzt das Fenster Theater und Spaziergänge.

 

 

Gustave Flaubert (1821-1880) französischer Schriftsteller

 

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Adventskalenderfenster X

Foto Brigitte Fuchs

 

 

10

 

Wer doch einmal die Geschichte des Fensters schrieb – dieses wunderlichen Rahmens unseres häuslichen Daseins, vielleicht sein eigentliches Mass, ein Fenster voll, immer wieder ein vollgeschöpftes Fenster, mehr haben wir nicht von der Welt; und wie bestimmt die Form unseres jeweiligen Fensters die Art unseres Gemüts: das Fenster des Gefangenen, die croiseé eines Palastes, die Schiffsluke, die Mansarde, die Fensterrose der Kathedrale –: sind das nicht ebensoviel Hoffnungen, Aussichten, Erhebungen und Zukünfte unseres Wesens?

 

 

Rainer Maria Rilke (1875-1926) österreichischer Lyriker deutscher und französischer Sprache
Aus „Briefe an Nanny Wunderly-Volkart“ (1919-1926)

 

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