Archiv der Kategorie: Gedichte
Das Jahr geht bald zur Neige
Foto Brigitte Fuchs
Das Jahr geht bald zur Neige.
Ein neues, jung und unberührt,
spielt dann die erste Geige.
Es fiedelt, klingt und klagt und führt
gekonnt (wie man sich das erhofft)
durch diese Welten-Symphonie.
Die Instrumente, wild bis soft,
sie tönen wundervoll wie nie.
Versonnen lauschen wir dem Klang.
Es scheint, als wäre alles gut,
befreit von Krankheit, Not und Zwang. –
(Das Glück gezaubert aus dem Hut.)
Doch selbst, wer fröhlich trinkt und lacht,
denkt bang an Kriegs- und Friedensspiele.
Wir schauen bittend in die Nacht
und haben Wünsche: viele, viele …
Brigitte Fuchs
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Dezembernacht
Foto Brigitte Fuchs: Solothurn
Wir zahlten und gingen. Hinter uns dröhnte das Tor ins Schloss, als habe uns der Orkus ausgespien. Draussen war die kernige Frische der Dezembernacht. Die hohen Giebelhäuser mit den erloschenen Fenstern dunkelten in den Winterhimmel hinauf. Aus seiner schwarzblauen Sammetspannung funkelten wie durch Gucklöcher die Lichter der Ewigkeit.
Max Halbe (1865-1944) deutscher Schriftsteller
Textausschnitt aus „Die Tat des Dietrich Stobäus“
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Des Wunders lächelnd staunend, das geschah …
Fotos Brigitte Fuchs
Des Wunders lächelnd staunend, das geschah,
Stand ich am Morgen leise fröstelnd, sah
Die Heide blitzend, funkelnd, übersät;
Als die Dezembersonne mild und spät
Hinter den Kiefern aufstieg … Silberblinken,
Glitzern und Blitzen aller Nähe, Weite
Im Winterlicht … Und bronzen ein Geläute
Vom Dorf her: – Morgenglocken; – und ein Winken
Des Horizontes blauzart; fernklar, fein:
Wie hingehaucht. Und eine Stille dann
Fing durch das Strahlende zu wandern an,
Und fand auf weissen Wegen sich allein. … O, ganz allein.
Karl Röttger (1877-1942) deutscher Schriftsteller
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Leise Stimmen

Foto Brigitte Fuchs
Hörst auch du die leisen Stimmen
aus den bunten Kerzlein dringen?
Die vergessenen Gebete
aus den Tannenzweiglein singen?
Hörst auch du das schüchternfrohe,
helle Kinderlachen klingen?
Schaust auch du den stillen Engel
mit den reinen, weissen Schwingen?…
Schaust auch du dich selber wieder
fern und fremd nur wie im Traume?
Grüsst auch dich mit Märchenaugen
deine Kindheit aus dem Baume?…
Ada Christen (1839-1901) österreichische Dichterin

Foto Brigitte Fuchs
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Weihnacht
Foto Brigitte Fuchs
(…)
Und siehe – welch ein Wundertraum:
Es wird lebendig Baum an Baum,
der Wald steht auf, der ganze Hain
zieht wandelnd in die Stadt hinein.
Mit grünen Zweigen pocht es an:
»Tut auf, die sel’ge Zeit begann,
Weihnacht! Weihnacht!«
Da gehen Tür und Tore auf,
da kommt der Kinder Jubelhauf,
aus Türen und aus Fenstern bricht
der Kerzen warmes Lebenslicht.
Bezwungen ist die tote Nacht,
zum Leben ist die Lieb‘ erwacht,
der alte Gott blickt lächelnd drein,
des lasst uns froh und fröhlich sein!
Weihnacht! Weihnacht!
Ernst von Wildenbruch (1845-1909) deutscher Schriftsteller
Letzte zwei von sechs Strophen seines Gedichtes „Weihnacht“

Foto Brigitte Fuchs
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Adventskalenderfenster XXIV
Foto Brigitte Fuchs
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(…)
Hell aus jedem Fenster strahlet
wundersam des Christbaums Licht,
und der Freude Schimmer malet
sich auf jedem Angesicht.
Lichte Himmelsboten schweben
ungeseh’n von Haus zu Haus;
selig Nehmen, selig Geben
geht von ihrer Mitte aus.
O willkommen, Weihnachtsabend,
allen Menschen, gross und klein!
Friedebringend, froh und labend
mögst du allen Herzen sein!
Adelheid Humperdinck-Wette (1858-1916) deutsche Schriftstellerin
Letzte drei Strophen ihres 6-strophigen Gedichtes „Weihnachten“
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Adventskalenderfenster XXIII

Foto Brigitte Fuchs
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Der Abend kommt von weit gegangen
Der Abend kommt von weit gegangen
durch den verschneiten, leisen Tann.
Dann presst er seine Winterwangen
an alle Fenster lauschend an.
Und stille wird ein jedes Haus:
die Alten in den Sesseln sinnen,
die Mütter sind wie Königinnen,
die Kinder wollen nicht beginnen
mit ihrem Spiel. Die Mägde spinnen
nicht mehr. Der Abend horcht nach innen,
und innen horchen sie hinaus.
Rainer Maria Rilke (1875-1926) österreichischer Lyriker
Aus der Sammlung „Gaben an verschiedene Freunde“
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Adventskalenderfenster XXII

Foto Brigitte Fuchs
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In der Adventszeit
In unsre gute Stube schauen drei Sterne ein,
Sind gar sicher die Lämpchen dreier Engelein,
Schauen, ob auch Platz und Raum
Für den Weihnachtsbaum.
Drinnen im Ofen, da knisterts fein,
Sicher schickt Niklas einen Windbub hinein,
Der nun lauschen, lauschen will,
Ob wir artig und still.
Horch, die Abendglocken… Nun gehts Christkindlein,
Niemand siehts, am Himmel und schaut in die Fenster ein.
Stille, stille sein!
Das Christkindlein —
Alfred Hein (1894-1945) deutscher Schriftsteller
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Adventskalenderfenster XX

Foto Brigitte Fuchs
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Das macht das Fenster, dass wir «draussen» sagen –
und weil wir selber drinnen sind.
Nach draussen muss man schauernd fragen,
denn draussen ist der Wind.
Laternen stehn
schon hundert schwarze Nächte –
und abends, bald nach zehn,
wenn mancher schlafen möchte,
graut wohl die Strasse blass
und schweigend aus der Flut
von Seufzern, Stein und Glas.
Nun ist es unser Blut,
das so gewaltig rauscht –
da hält der Wind im Tanz den Schritt,
bleibt manchmal stehn,
als ob er lauscht.
Und die Laternen gehen
noch lange durch die Träume mit.
Wolfgang Borchert (1921-1947) deutscher Schriftsteller
Gedicht mit dem Titel „Draussen“
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Adventskalenderfenster XVII

Foto Brigitte Fuchs
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Sie sitzt und schaut am Spiegel
Nur nach dem Mondenlicht,
Das rieselnd durch die Riegel
Des Faservorhangs bricht.
Als wie von Jadesplittern
Fliesst durch der Kammer Raum
Ein Glitzern und ein Zittern,
Und sie zieht, wie im Traum,
Anstatt ihr Haar zu kämmen,
Den Vorhang hoch empor,
Und Strahlen überschwemmen
Der Kammer offnes Tor.
Wie jetzt die Silberscheibe
Weiss leuchtend strahlt und blinkt;
Gleich einem Frauenleibe,
Von dem die Seide sinkt.
Tschan-Jo-Su (lebte im 19. Jahrhundert) Chinesischer Dichter
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