Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

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Büchertisch

Wie alljährlich, so breiten wir auch heuer für unsere Leser die Gaben der deutschen Literatur auf den Weihnachtstisch aus, damit jeder sich für die kerzenflimmernde Tanne das aussuchen möge, was ihm besonders am Herzen liegt. »Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen«, denken wir mit Oskar A. H. Schiller, und ist doch ein gutes deutsches Buch wie kein anderes geschaffen, ja bestimmt, neben dem nervenstärkenden Fußball und der Gesundheitswäsche auf dem Gabentische zu prangen. Wohlan –!

Kurt Tucholsky

 

 

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P.S. Gemeint hat Kurt Tucholsky wohl den Schriftsteller Oscar A. H. Schmitz (1873-1931), Erzähler, Dramatiker und Essayist, lebte u. a. in München, Berlin, Paris und Salzburg und hielt sich längere Zeit in Italien, Spanien, Marokko und Ägypten auf. Seine intimen Tagebücher erscheinen im Aufbau-Verlag in drei Bänden: Band 1 (1896-1906): Das wilde Leben der Boheme, Band 2 (1907-1912): Ein Dandy auf Reisen, Band 3 (1912-1918): Durch das Land der Dämonen.

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

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Großstadt – Weihnachten

Nun senkt sich wieder auf die heim’schen Fluren
die Weihenacht! die Weihenacht!
Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren,
wir kriegens jetzo freundlich dargebracht.

Der Asphalt glitscht. Kann Emil das gebrauchen?
Die Braut kramt schämig in dem Portemonnaie.
Sie schenkt ihm, teils zum Schmuck und teils zum Rauchen,
den Aschenbecher aus Emalch glasé.

Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen
auf einen stillen heiligen Grammophon.
Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen
den Schlips, die Puppe und das Lexikohn,

Und sitzt der wackre Bürger bei den Seinen,
voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn,
dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen:
»Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!«

Und frohgelaunt spricht er vom ›Weihnachtswetter‹,
mag es nun regnen oder mag es schnein,
Jovial und schmauchend liest er seine Morgenblätter,
die trächtig sind von süßen Plauderein.

So trifft denn nur auf eitel Glück hienieden
in dieser Residenz Christkindleins Flug?
Mein Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden . . .
»Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.«

 

Kurt Tucholsky

 

 

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Foto Brigitte Fuchs: Historischer Briefkasten, gesehen vor Jahren in Basel

 

 

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Der Floh

 

Im Departement du Gard – ganz richtig, da, wo Nîmes liegt und der Pont du Gard: im südlichen Frankreich – da saß in einem Postbüro ein älteres Fräulein als Beamtin, die hatte eine böse Angewohnheit: sie machte ein bißchen die Briefe auf und las sie. Das wußte alle Welt. Aber wie das so in Frankreich geht: Concierge, Telefon und Post, das sind geheiligte Institutionen, und daran kann man schon rühren, aber daran darf man nicht rühren, und so tut es denn auch keiner.

Das Fräulein also las die Briefe und bereitete mit ihren Indiskretionen den Leuten manchen Kummer.

Im Departement wohnte auf einem schönen Schlosse ein kluger Graf. Grafen sind manchmal klug, in Frankreich. Und dieser Graf tat eines Tages folgendes:
Er bestellte sich einen Gerichtsvollzieher auf das Schloß und schrieb in seiner Gegenwart an einen Freund:

 

Lieber Freund!

Da ich weiß, daß das Postfräulein Emilie Dupont dauernd unsre Briefe öffnet und sie liest, weil sie vor lauter Neugier platzt, so sende ich Dir inliegend, um ihr einmal das Handwerk zu legen, einen lebendigen Floh.

Mit vielen schönen Grüßen

Graf Koks

 

Und diesen Brief verschloß er in Gegenwart des Gerichtsvollziehers. Er legte aber keinen Floh hinein.

Als der Brief ankam, war einer drin.

 

Kurt Tucholsky

 

 

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Fotos Brigitte Fuchs

 

 

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Die diskreditierte Literatur

Das deutsche Lesepublikum scheint mit einem großen Wurstkessel verglichen werden zu dürfen. Oben stehen die Köche – das sind die Herren Verleger – und schütten und schütten Würste hinein. Wie lange noch, und der Kessel ist voll.

Wie soll das werden? Früher, das war eine schöne Zeit. Gewiß, die Bücher waren nicht so billig wie heute, und auch die Drucktechnik ließ noch zu wünschen übrig. Aber wie liebte man so ein schmales Bändchen, wie kannte man jeden Buchstaben auf dem Einband, wie zärtlich streichelte man das oft gelesene Buch! Heute hat sich der Druck verbessert, die Ausstattung ist fast durchweg gut – aber die Bücher sind wohlfeil geworden und die Liebe zu ihnen auch.

(…)

Kurt Tucholsky

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

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Kindertheater

 

Wie war das doch? –

Schon der Nachmittag war unruhig und bewegt – Theater! Und wir gingen von zu Hause fort, durch die noch hellen Straßen, blind für alles Licht, vorwärtsstrebend, stumm. Das große Gebäude, die Kasse, die vielen Menschen, – drängte sich nicht ein Mädchen mit blauschimmernden Flügeln am Rücken durch sie alle? – die Garderobe – das wurde ungeduldig und schnell, hastig erledigt.

Wir traten in den riesigen Raum voll Lichtern, heißer Luft und summenden Gesprächen. Wir kamen stets spät; der Saal verdunkelte sich, und unten im Orchester klopfte ein Stäbchen aus Holz. Und Töne, die bis dahin gebrummt und quinkiliert hatten, verstummten, und der Strich von zwanzig Geigen setzte ein. O süßer Moment, wenn die Ouvertüre beginnt, im Halbdunkel der wenigen Lämpchen schwimmen Gesichter, helle Schöße der Frauen, oben bauscht sich der Vorhang ein wenig . . . Musik! Die Musik spielte – und die Backen wurden heiß und die Hände, Musik, immer noch Musik, und jetzt erhob sich der Vorhang.

Das Stück begann.

(…)

 

Kurt Tucholsky

Aus dem Jahre 1913

 

Foto Brigitte Fuchs: Theater Tuchlaube, das inzwischen mit anderen Institutionen zur „Bühne Aarau“ gehört

 

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Advent mit Tucholsky

Foto Brigitte Fuchs

 

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Einkäufe

Was schenke ich dem kleinen Michel
zu diesem kalten Weihnachtsfest?
Den Kullerball? Den Sabberpichel?
Ein Gummikissen, das nicht näßt?
Ein kleines Seifensiederlicht?
Das hat er noch nicht. Das hat er noch nicht!

Wähl ich den Wiederaufbaukasten?
Schenk ich ihm noch mehr Schreibpapier?
Ein Ding mit schwarzweißroten Tasten;
ein patriotisches Klavier?
Ein objektives Kriegsgericht?
Das hat er noch nicht. Das hat er noch nicht!

Schenk ich den Nachttopf ihm auf Rollen?
Schenk ich ein Moratorium?
Ein Sparschwein, kugelig geschwollen?
Ein Puppenkrematorium?
Ein neues gescheites Reichsgericht?
Das hat er noch nicht. Das hat er noch nicht!

Ach, liebe Basen, Onkels, Tanten –
Schenkt ihr ihm was. Ich find es kaum.
Ihr seid die Fixen und Gewandten,
hängt ihrs ihm untern Tannenbaum.
Doch schenkt ihm keine Reaktion!
Die hat er schon. Die hat er schon!

 

Kurt Tucholsky
Aus dem Jahre 1919

 

 

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Foto Brigitte Fuchs: Leuchtturm bei Cuxhaven

 

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Die letzte Seite

Mein Beruf – ich bin Zweiter Leuchtturmwächter auf der kleinen Ostseeinsel Achnoe, und die Nächte sind lang – mein Beruf zwingt mich, viel und ausgiebig zu lesen. Um neue Bücher ist mir nicht bange – die bekomme ich von meinem Freund, Herrn Andreas Portrykus, dem Nachtredakteur des ›Strahlförder Generalanzeigers‹ (mit Unfallversicherung). Er schenkt mir alle Rezensionsexemplare, und so lese ich Nacht für Nacht, alles durcheinander: Romane und Reisebeschreibungen und zarte, sinnige Geschichten aus edler Frauenhand, und was man eben so liest.

Und wenn der Wind an die dicken Scheiben stößt, wenn mein Burgunderpunsch auf dem Tisch dampft, der bräunliche Tabak knastert und ich alter Mann wieder einmal froh bin, diesen Posten ergattert zu haben –: dann kommt es wohl vor, daß ich aus Zerstreutheit und guter Laune die Bücher von hinten zu lesen beginne, so, wie man aus einem Kuchen sich zuerst die Rosinen herausknabbert. Und da bin ich zu der Entdeckung gekommen, daß die Schlüsse all der vielen Bücher sich deutlich nach verschiedenen Arten gruppieren lassen. Es gibt Normalschlüsse, die immer wiederkehren: der Autor mag vom Mond heruntergefallen sein, am Schlusse besinnt er sich doch auf sein edles Menschentum und redet deutsch.

Heute nacht habe ich wieder vier Pfund Bücher gelesen – mir ist noch manches im Gedächtnis. Ich will es einmal versuchen.

(…)

Ja, wird stets der geneigte Leser nun sagen: Das ist ja alles sehr schön und nett – aber wie soll denn ein Buchschluß nun sein? Diese gefallen doch dem Herrn Leuchtturmwächter alle nicht . . .

Ich muß sagen, daß ich in meiner jetzt zwanzigjährigen Dienstzeit nur einmal einen wirklich guten, ehrlichen und motivierten Buchschluß gefunden habe. Er fand sich in einem Gedichtbüchlein ›Frühlingsstimmen‹ von Herrn Hugo Taubensee. Der Mann war – wie man aus dem beigehefteten Porträt sehen konnte – Postschaffner, aber auch Dichter, eine der so häufigen Verbindungen von Geschäftsmann und Romantiker. Der Verleger war nur Geschäftsmann.

Diese ›Frühlingsstimmen‹ klangen folgendermaßen aus:

»Mitteilung an den Leser!

Die gesammelten Gedichte des Verfassers gehen in Wirklichkeit noch weiter. Weil ich aber nicht in der bemittelten Lage bin, weiteres Papier und auch die Druckkosten anzuschaffen, so sehe ich mich gezwungen, die Gedichte hier abzubrechen. Ich will aber, wenn der Absatz dieses Büchleins ein entsprechender ist, die ›Frühlingsstimmen‹ gern fortsetzen. Die Leser handeln also im eigenen Interesse, wenn sie das Buch fleißig kaufen und weiter empfehlen!«

Das heiß ich einen Schluß! Von jetzt an werde ich mich mehr den Anfängen zuwenden.

Kurt Tucholsky

 

 

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Foto Brigitte Fuchs: Das legendäre Café Teuscher in Zürich

 

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Neues Leben

Von morgen ab fängt ein neues Leben an.

Der Doktor Bergmann hat einen ordentlichen Schreck bekommen, als er mich ansah, und ich bekam einen noch viel größeren. »Was machen Sie denn, lieber Freund?« fragte er leise. »Was . . . was ist denn, Doktor?« sagte ich. »Haben Sie etwas mit der Leber?« fragte er. »Ihre Augen gefallen mir gar nicht. Kommen Sie mal in den nächsten Tagen zu mir!« Natürlich gehe ich hin. Ich weiß schon, was er mir sagen will, und er hat auch ganz recht. So geht das nicht mehr weiter.

Also von morgen ab hört mir das mit dem Bier bei Tisch auf. Wenn mir Mutter wieder Hamann-Schokolade durch Emmy schicken läßt, gebe ich sie den Kindern. Und Edith darf nicht mehr so fett kochen. Gestern hab ich ihr noch gesagt . . . Nein, gestern hab ich gefragt, ob noch Stopfleber da ist – das ist wahr. Aber das hört mir jetzt auf.

 

(…)

 

Kurt Tucholsky

 

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Fotos Brigitte Fuchs

 

 

13

 

In des Waldes tiefsten Gründen

(…)

»Ich geh jetzt morden«, sagte der Räuberhauptmann Nickel Kernbeißer und zog den Lederkoller fester. Warf das gute, alte Schießgewehr über die Schulter, steckte die Trichterpistolen in den Gürtel, den Räubererlaubnisschein ins Wams – »Velleda, mein Weib, leb wohl! Mich siehst nimmer!« – »Aber zum Nachmittagskaffee bist du doch wieder da?« entgegnete die Hausfrau treuherzig, indem sie sich mit einem kräftigen Armschwung die Nase putzte. »Stell ihn warm, wenn ich nicht zur Zeit zurück bin«, sprach Nickel düster. Und schritt fürbaß.

 

Kurt Tucholsky

 

 

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Foto Brigitte Fuchs

 

12

 

 

Wenn die Flocken fallen…

Grübelnd ging ich heut in meinen Laden.
Und ich dachte mir: Es kann nichts schaden –
Mach mal Inventur!
Oh, Matthias, wird das Leben aber teuer!
Jetzt kommt, Gott behüte, eine Umsatzsteuer –
Wer bezahlt die nur?
Und ich frag mich: Mitten in Berlin?
Kann der Mensch da Steuern hinterziehn?
Eben wars noch trocken.
Plötzlich schneit es dichte, dichte Flocken . . .
Und mir fällt beim Wandern eine nach der andern
leise auf den Hut.
Denk im Schneegeriesel:
Ich bin doch ein Stiesel –
weil die ganze Welt dergleichen tut!

 

(…)

 

 

Kurt Tucholsky
Erste von drei Strophen des gleichnamigen Gedichtes aus dem Jahre 1919

 

Foto Brigitte Fuchs

 

 

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