Archiv der Kategorie: Gedichte

Ausflug in die Tropen

Ich weiss ein schönes Eiland, wie verloren

 


Fotos Brigitte Fuchs: entstanden im Tropenhaus in Wolhusen

 

Ich weiss ein schönes Eiland, wie verloren

Im stillen Ocean, ein waldbedecktes,

In milden Sonnenstrahlen hingestrecktes,

Wie ein Asyl, für Dichter auserkoren,

Ein Eden, von der Trope Glut durchhaucht,

Ein Eiland, wie ein Strauss von wilden Rosen

Für die Betrübten, für die Heimatlosen

Aus träumerischen Fluten aufgetaucht.

 

Fotos Brigitte Fuchs: Tropenhaus Wolhusen

 

Es ragt empor, der Schiffer Augenweide,

Mit Halden, Silberbächen, kühlen Schluchten.

Es streift mit seinem dunkelgrünen Kleide

Bis an den Spiegel seiner Felsenbuchten.

Lianen werfen ihre Blütenschnur

Von Baum zu Baum; durch buntes Strauchwerk fliegen

Zwitschernde Vögel. Stolze Forsten schmiegen

Sich an des Himmels blendendes Azur.

(…)

 

Dranmor (1823-1888) Pseudonym für Ludwig Ferdinand Schmid, Schweizer Lyriker und Geschäftsmann, der viele Jahre in Brasilien und Paris wohnte
Auszug aus seinem Langgedicht „Ich weiss ein schönes Eiland, wie verloren“ aus Dranmor, Gedichte, Requiem aus dem Jahre 1869

 

Fotos Brigitte Fuchs: Tropenhaus Wolhusen

 

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Der Kellner

Fotos Brigitte Fuchs

 

Jüngst in einer Gartenwirtschaft
Hielt ich Rast mit müdem Schritt,
Dass ein kühler Trunk mir lind’re
Durst und Hitze, die ich litt.

„Kellner, eine Weisse!“ Und der
Kellner lief mit raschem Schritt.
Doch er liess mich lange warten,
Mich, der so am Durste litt.

Brachte andern Trank und Speise,
Brachte aber mir nichts mit,
„Wo bleibt meine Weisse?“ rief ich,
Als er abermals mich schnitt.

„Gleich, Herr“, ruft der Kellner,
„Wollen Sie sie ohne oder mit?“ –
„Bringen Sie sie ohne“, sprach ich,
„Aber bringen Sie sie mit!“

 

 

Richard Zoozmann (1863-1934) auch Richard Hugo oder Hugo Zürner; deutscher Lyriker, Epiker, Dramatiker und Redakteur

 

P.S. Eine Weisse, bekannt als die Berliner Weisse, ist ein helles, obergäriges Schankbier. Der Alkohlgehalt ist mit ca. 3 % eher niedrig und macht die Bier-Spezialität zu einem beliebten Erfrischungsgetränk, das manchmal auch angereichert wird mit einem Schuss Waldmeister- oder Himbeersirup. Sie wird aus einem bauchigen Glas mit Stiel getrunken.

 

 

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Landschaft

Foto Brigitte Fuchs: Egelsee

 

 

Septemberabend; traurig tönen die dunklen Rufe der Hirten
Durch das dämmernde Dorf; Feuer sprüht in der Schmiede.
Gewaltig bäumt sich ein schwarzes Pferd; die hyazinthenen Locken der Magd
Haschen nach der Inbrunst seiner purpurnen Nüstern.
Leise erstarrt am Saum des Waldes der Schrei der Hirschkuh
Und die gelben Blumen des Herbstes
Neigen sich sprachlos über das blaue Antlitz des Teichs.
In roter Flamme verbrannte ein Baum; aufflattern mit dunklen Gesichtern die Fledermäuse.

 

Georg Trakl (1887-1914) österreichischer Dichter
Aus der Sammlung „Sebastian im Traum“

 

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Spaziergang

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Lieblich ist’s, am Sommertag
Hinzugehn durch Feld und Wiesen,
Wenn an Busch und Wiesenhag
Bunte Blumen reich entspriessen,
Wenn Gesichter voll von Lust
Jedes Landschaftsbild verschönen,
Und aus frohbewegter Brust
Jubelnde Gesänge tönen.

Doch mit dir, geliebtes Kind,
Freut es mich vor allem andern,
Früh ermuntert, wie wir sind,
In den Herbst hinein zu wandern.
Morgenfrisch ist die Natur
Schweigend vor uns ausgebreitet;
Dürres Laub erknistert nur,
Wenn der Fuss darübergleitet.

(…)

 

Otto Baisch (1840-1892) deutscher Maler, Lithograf und Schriftsteller
Die ersten beiden Strophen seines fünfstrophigen Gedichts „Spaziergang“

 

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Der Architekt…

Fotos Brigitte Fuchs: der Maiengrün-Turm in Hägglingen, Aargau
Der im Jahre 1929 erbaute Turm ist eine Stahlkonstruktion und wurde 1936 um 8 Meter auf die heutige Höhe von 35 Meter erhöht. 2020 wurde er total saniert. Über 170 Treppenstufen gelangt man zur obersten Aussichtsplattform.
Bei schönem Wetter sind von der Turmspitze aus sowohl der Alpenkamm als auch der Schwarzwald zu sehen.

 

 

Der Architekt ist hoch verehrlich,
(Obschon die Kosten oft beschwerlich),
Weil er uns unsre Erdenkruste,
Die alte, rauhe und berusste,
Mit saubern Baulichkeiten schmückt,
Mit Türmen und Kasernen spickt.

 

Wilhelm Busch (1832-1908) deutscher Zeichner, Maler und Dichter
Aus Busch, Bildergeschichten. Maler Klecksel, 1884

 

 

P.S. Auf fast allen Stufen, die auf den Turm führen, ist eine Tafel angebracht mit Sponsornamen oder kurzen Sprüchen. Auf der Stufe 61 steht folgender Text:

 

„Heb Sorg! Schnuuf dure! / Mach kein Fehltritt!“

Was soviel heisst wie:

„Trag dir Sorge! Atme tief durch! / Mach keinen Fehltritt!“

 

 

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Die schöne Stadt

Fotos Brigitte Fuchs

(…)

Helle Instrumente singen.
Durch der Garten Blätterrahmen
Schwirrt das Lachen schöner Damen.
Leise junge Mütter singen.

Heimlich haucht an blumigen Fenstern
Duft von Weihrauch, Teer und Flieder.
Silbern flimmern müde Lider
Durch die Blumen an den Fenstern.

 

Georg Trakl (1887-1914) österreichischer Dichter
Letzte zwei der sieben Strophen seines Gedichtes „Die schöne Stadt“

 

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Passage

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Möchtegernworte die mir zur
Verfügung stehen linkisch und

links da lasse ich sie liegen

baue mir eine Furt aus Kieseln
in den Wortfluss und wage die

Überquerung im Alleingang

 

 

Brigitte Fuchs
Aus „Es tanzt der Stein“, Gedichte, edition 8, Zürich 2014

 

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

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Jetzt oder

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Nie werde ich das Lachen wiederfinden, das ich
kurz vor Mittag ablegte. DIE STUNDE IST NEU.
Während ich schreibe: „Die Stunde ist neu,
fähig zum einzigen Leben, fähig zu jedem Tod…“,

wächst mir der Holunder über den Kopf.
(Niemand beschwert sich über die Zudringlichkeit
der Gewächse. Niemand kommt und bedauert
das Wegbleiben des Meeres.)

Kaum, dass ich vermerke: „Die Stunde ist neu, ich
muss mir den Anfang erfinden – ein Land, ein
Lachen, eine Kunst…“, taucht das Meer auf. Deutlich
und mit allen Wassern wie nie.

 

Brigitte Fuchs
Aus „Handbuch des Fliegens“, Gedichte, edition 8, Zürich 2008

 

Fotos Brigitte Fuchs

 

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Herbstlich sonnige Tage

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

(…)

Jedem leisen Verfärben
lausch ich mit stillem Bemüh’n,
jedem Wachsen und Sterben,
jedem Welken und Blüh’n.

Was da webet im Ringe,
was da blüht auf der Flur,
Sinnbild ewiger Dinge
ist’s dem Schauenden nur.

Jede sprossende Pflanze,
die mit Düften sich füllt,
trägt im Kelche das ganze
Weltgeheimnis verhüllt.

 

 

Emanuel Geibel (1815-1884) deutscher Lyriker, Dramatiker und Übersetzer
Zweite Hälfte des sechsstrophigen Gedichts „Herbstlich sonnige Tage“

 

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O wieviel mehr…

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

O wieviel mehr die Schönheit schön erscheint

durch jenen süssen Schmuck, den Wert ihr webt!

Hold sieht die Rose aus, doch holder meint

man jenen süssen Duft, der in ihr lebt.

 

 

William Shakespeare (1564-1616) englischer Dramatiker, Dichter und Schauspieler

 

 

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