Archiv der Kategorie: Gedichte

Monolog

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Zwischen Horchenden und Spähern,
tauben, blinden Nie-Verstehern,

bin ich meinem Wahn ergeben,
leb mein tief geheimes Leben.

Um mich her ist Abenteuer.
Überall Gefahr und Feuer!

Keiner weiss, dass er mich kenne,
ob ich blute oder brenne.

 

 

Alfred Grünewald (1884-1942) österreichischer Schriftsteller
Aus „Lass meine Seele dir Heimat sein“

 

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Wenn ich mir einst eine Hütte will bauen…

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Wenn ich mir einst eine Hütte will bauen,
Will ich nach einem Stamm umschauen,
Wo in der Mitte Bienen wohnen,
Am Fuss Ameisen und Tauben auf den Kronen;
Damit, wenn ich draus die Hütte gebauet,
Von Honigseim sie sei durchtauet,
Von Emsigkeit sie sei verschönet,
Und von Eintracht still bekrönet.

 

 

Friedrich Rückert (1788-1866) deutscher Dichter
Gedicht mit dem Titel: „Aus der Jagdtasche eines missmutigen Schützen“

 

Fotos Brigitte Fuchs

 

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Heim

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Unsere Zimmer haben blaue Wände
und wir wandeln leisehin durch Himmelweiten,
und am Abend legen Innigkeiten
mit Engelaugen ineinander unsere Hände.

Und wir erzählen uns Geschichten,
bis der Morgen kommt in Silberglocken
und dem Dämmersteine in den Locken,
der Sonne winkt durchs Tor von Wolkenschichten;

Und wie sie tanzt auf unseren wiesenhellen
Teppichen, leicht über sanftverschlungene Blumenstiele!
Zum Liebeslauschen laden unsere Stühle,
und von den Pfeilern fallen Seidenquellen.

 

Else Lasker Schüler (1869-1945) deutsche Schriftstellerin und Dichterin jüdischer Herkunft

 

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März

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Ah! Wie die buttergelbe Sonne
Uns wärmend durch die Poren dringt!
Wie neu erwachte Frühlingswonne
Uns das vergrämte Herz beschwingt!

Dem wintermüden Menschentume
Erheitert ihr die Phantasie,
Schneeglöckchen, Veilchen, Schlüsselblume
Und was auf Wiesen sonst gedieh!

Im Mistbeet herrscht ein reges Leben;
Das drängt sich an das helle Licht
Und will uns bald Gemüse geben,
Will Zutat sein zum Leibgericht.

Und wie sich froh den Hühnersteissen
Entringt das liebe Osterei!
So mag sich die Natur befleissen,
Dass sie nebst schön auch schmackhaft sei.

Das Starkbier regelt dann die Stühle,
Wenn Hertling spricht, ist’s ebenso,
Man sitzt im Frühlingslustgefühle
Und wird im Sitzen lebensfroh.

 

 

Ludwig Thoma (1867-1921) deutscher Schriftsteller und Rechtsanwalt

 

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Daheim

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Daheim, daheim! Nach so viel Wandertagen,

Nach so viel Nächten, wo ich sturmverschlagen

Schlaflos im Schiff ersonnen meinen Reim,

Nach Frost und Glut auf öden Felsenstiegen,

Nach ew’ger Hast – o welche Zauber liegen

In diesem kleinen Wort: Daheim!

 

 

Emanuel Geibel (1815-1884) deutscher Lyriker und Dramatiker
Erste von acht Strophen seines Gedichtes „Daheim“

 

 

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Mit viel Fantasie

Foto Brigitte Fuchs: Einkaufszentrum in Zürich

 

Auf einem vergoldeten Blumenschiff
mit Ebenholzmasten und Purpursegeln
schwimmen wir ins offene Meer.

Hinter uns,
zwischen Wasserrosen,
schaukelt der Mond.

Tausend bunte Papierlaternen
schillern an seidenen Fäden.

 

Arno Holz (1863-1929) deutscher Schriftsteller, Lyriker und Dramatiker
Aus „Phantasus“ Erstes Heft, Berlin 1898

 

Foto Brigitte Fuchs

 

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Es lebe die Mode

Fotos Brigitte Fuchs

 

Für die Mode, nicht dagegen
Sei der Mensch! – Denn sie erfreut,
Wenn sie sich auch oft verwegen
Vor dem grössten Kitsch nicht scheut.

Ob sie etwas kürzer, länger,
Enger oder anders macht,
Bin ich immer gern ihr Sänger,
Weil sie keck ins Leben lacht.

Durch das Weltall sei’s gejodelt
Allen Schneidern zum Gewinn:
Mode lebt und Leben modelt,
Und so haben beide Sinn.

 

Joachim Ringelnatz (1883-1934) deutscher Dichter, Kabarettist und Seefahrer

 

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Es war ein verführendes Wasser

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Es war ein verführendes Wasser,
das meinen Sinn in seine krausen Strudel zog.
Wie reissend ist nun aber
die Gewalt des Stromes.
Da riefen an mir vorbei die Orte
alter dunkelsüsser Heime,
wo ich des Nachts
dem Lied der Zikade lauschte,
einsam und heimlich
unter dem duftatmenden Holunder.
Manchen Traurigen seh‘ ich am Ufer stehn.
Ich aber bin über den Wellen,
stark und frisch an Leib und Seele.
Ich will münden zusammen
mit dem grossen Strom.
Münden will ich mit ihm.
.

 

Paul Klee (1879-1940) deutsch/schweizerischer Künstler
Gedicht aus dem Jahre 1901

 

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Ein unruhig Gemüte

Fotos Brigitte Fuchs: Schlossmühle beim Schloss Hallwil

 

 

Ein Mühlstein und ein Menschen-Herz

wird stets herumgetrieben,

Wo beides nichts zu reiben hat,

wird beides selbst zerrieben.

 

 

Friedrich von Logau (1605-1655) deutscher Dichter

 

Fotos Brigitte Fuchs

 

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Moos

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

In tiefster Schlucht im Waldesschoss,
Entsprosst das grüne, zarte Moos,
Ein Teppich, sammetweich.
Den Blicken zeigt es sich nur klein,
Doch schliesst sein Bau ein Wunder ein
Von Wipfel, Laub und Zweig.

(…)

 

Helmina von Chézy (1785-1856) deutsche Journalistin, Dichterin und Librettistein
Anfangszeilen ihres Gedichtes „Jesus und das Moos“

 

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

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